Forschen für glücklichere Hühner
Zu viele Legehennen verletzen sich, auch in Schweizer Ställen. Dies ist eines der Probleme, für die das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV Lösungen sucht. Im soeben eröffneten neuen Versuchsstall in Zollikofen erforscht Hanno Würbel von der Universität Bern mit seinem Team in Zusammenarbeit mit dem BLV, wie Haltungssysteme tiergerechter ausgestaltet werden können.
Wer sich am Rand von Zollikofen dem Kompetenzzentrum der schweizerischen Geflügelwirtschaft (Stiftung Aviforum) nähert, erblickt sie sofort: Die Hühner, die hier im grosszügigen Freilandgehege über die Wiese stolzieren. Erfreulicherweise leben in der Schweiz – auch dank Zuschüssen vom Bund – drei Viertel aller Legehennen in Volierenhaltung mit Auslauf ins Freie und damit unter Bedingungen, die deutlich über dem gesetzlichen Minimum liegen. Doch auch hier besteht immer noch erheblicher Verbesserungsbedarf.
Hanno Würbel, Professor für Tierschutz an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern, führt zu einem langen Gebäude, dem Stall 4 des Aviforum. «Eine für die Schweiz typische Anlage für 4500 Legehennen – erlaubt sind bis zu 18000 pro Halle», erklärt er und führt über eine Metalltreppe in den Besuchergang des Gebäudes. Im Innern des Stalls blicken wir auf die Hühner-Voliere – ein hohes Metallgestell mit mehreren Ebenen, das alle wesentlichen Elemente für das natürliche Verhalten von Hühnern enthält. Am Boden liegt Einstreu zum Picken, Scharren und Sandbaden, auf den höheren Ebenen befinden sich Futtertröge und Tränken, Legenester zur geschützten Eiablage sowie erhöhte Sitzstangen zum Ruhen und Schlafen. «In der Natur leben Hühner am Boden – nur zum Ruhen ziehen sie sich auf einen Ast zurück», erklärt Würbel. Die heute üblichen Volierensysteme bezeichnet er deshalb aus Sicht des Tierwohls als «Kompromiss»: Man versuche den Lebensraum platzsparend «in die Höhe zu stapeln».
Brustbeinfrakturen nach Abstürzen
Im Vergleich zur in der Schweiz verbotenen Käfighaltung, in der das natürliche Verhalten der Hennen stark eingeschränkt ist, seien diese Haltungssysteme zweifelsohne ein grosser Fortschritt, betont Würbel. Dennoch bestehe weiterhin Handlungsbedarf. Ein grosses Problem sind Brustbeinfrakturen. Wenn Hennen in den engen Volieren fliegend von einer Ebene zur anderen wechseln wollen, kollidieren sie leicht mit Stangen oder können gar abstürzen. Dabei kann das empfindliche Brustbein leicht brechen, denn die auf Hochleistung gezüchteten Eierproduzentinnen leiden alle unter Osteoporose – das Kalzium wird für die Eierschalen benötigt und fehlt in den Knochen. «Entweder schaffen wir es, weniger empfindliche Hennen mit stärkeren Knochen zu züchten», sagt Würbel – «oder wir müssen das Volierensystem so überarbeiten, dass sich die Tiere nicht mehr verletzen.»
Stall mit Labor und Videoraum
Das Wohlergehen von Nutztieren verbessern: Dies ist das Ziel der Forschung, die das Zentrum für tiergerechte Haltung von Geflügel und Kaninchen (ZTHZ) der Universität Bern und des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV hier am Aviforum betreibt. Geforscht wird im engen Austausch zwischen Privatwirtschaft, Behörden und Wissenschaft – dabei sei die akademische Unabhängigkeit voll gewahrt, betont Würbel. Nun erhält die Tierschutz-Forschung Schub: Mit dem neuen Versuchsstall, der die bisherige, veraltete Anlage ersetzt.
Am 29. November wurde der neue Versuchsstall feierlich eröffnet – im Beisein von Ständerat Isidor Baumann (Präsident der Stiftung Aviforum), Hans Wyss (Direktor BLV) und Christian Leumann (Rektor der Universität Bern). Hell strahlt der neue Stall auf der herbstlichen Wiese am Rand des Geländes. Hell sind auch die Mienen von Hanno Würbel und seiner Kollegin Nadine Ringgenberg, die im BLV zuständig ist für den Tierschutz beim Geflügel, wenn sie durch den neuen Versuchsstall führen. Im alten Stall konnten höchstens zwei Haltungsversuche aufs Mal durchgeführt werden – in der neuen Halle mit den vier abtrennbaren Einheiten sind parallel bis zu vier unabhängige Versuche unter kontrollierten Licht-, Temperatur- und Luftbedingungen möglich. Ausserdem verfügt der neue Versuchsstall über ein eigenes Labor. «Hier können wir beispielsweise untersuchen, wie sich die verschiedenen Haltungsbedingungen auf die Produktion auswirken», so Würbel. Konkret kann etwa die Schalenstärke der Eier untersucht werden: Die Schale soll so dünn wie möglich sein, damit mehr Kalzium in den Knochen verbleibt, das Ei beim Transport aber nicht zerbricht.
Zentral ist auch der Videoraum. «Unsere Arbeit besteht vor allem aus Verhaltensbeobachtungen», sagt Würbel. Und das geht besser per Video, da die Tiere dann nicht gestört werden und gleichzeitig Daten von vielen Tieren erhoben werden können. Zunehmend kommen auch neue Technologien zum Einsatz: Einzelne Tiere werden mit Infrarotsensoren ausgestattet und ihre individuellen Bewegungsmuster im Haltungssystem aufgezeichnet. Dabei zeigt sich: Kein Huhn ist wie das andere, jedes hat seine individuelle Persönlichkeit. «Es gibt Frühaufsteher und Spätaufsteher, ängstliche und forsche Tiere», so Nadine Ringgenberg: «Ihnen allen müssen wir gerecht werden – denn das Tierschutzgesetz verpflichtet zum Schutz des individuellen Tieres.» Das führe dann zu Fragen wie dieser: Wenn nicht alle Hühner nach draussen ins Freie gehen, sind dies einfach zufriedene Stubenhocker – oder behagt ihnen der Auslauf nicht?
Rampen helfen gegen Unfälle
Wir betreten einen der neuen, noch leeren Ställe. Auch hier sind Metallgestelle aufgebaut. Aber etwas ist anders: Es hat Rampen von einer Ebene zur nächsten. Sie sollen das Absturzrisiko und damit die Brustbeinverletzungen vermindern. Die Methode hilft tatsächlich, wie sich zuerst im Versuch, dann in einem praxisnahen Stall am Aviforum und schliesslich in der Praxis gezeigt hat. «Ab 2019 werden Rampen auch in Praxisställen eingebaut», so Nadine Ringgenberg.
Ein Nest, das den Hennen gefällt
Bevor wir die ersten eingestallten Hühner besuchen, streifen wir uns Schutzanzüge über – damit wir keine Keime einschleppen. Die Bewohnerinnen der acht kleinen Stalleinheiten machen sich gerade fertig zum Schlafengehen. Die meisten sitzen bereits auf einer der Sitzstangen, die obersten sind die beliebtesten. Das Legenest hingegen ist leer – nachdem es am Morgen rege in Gebrauch war. «Es brauchte x Versuche, um herauszufinden, welche Eigenschaften ein Nest besonders attraktiv für die Eiablage machen», erzählt Würbel. Nun komme es kaum noch vor, dass eine Henne ihr Ei auf dem Gitterrost oder in der Einstreu legt, weil sie das Nest nicht annimmt. Das schätzen auch die Besitzer der Hühner, denen nun weniger Eier verlorengehen. Würbel: «Häufig gehen kommerzielle Interessen und Tierschutzinteressen Hand in Hand.»
Für andere Probleme – etwa die Brustbeinverletzungen – gebe es hingegen keine einfache Lösung. Hier müssen Züchtung, Ernährung und Haltung gemeinsam berücksichtigt werden, um eine optimale Lösung zu finden – und die würde etwas kosten. Letztlich müsse die Gesellschaft entscheiden, wie viel ihr der Tierschutz wert sei. Man dürfe sich keine Illusionen machen, betont Würbel: «In einem einseitig auf Hochleistung getrimmten Produktionssystem wird es keine glücklichen Hühner geben.»
Zentrum für tiergerechte Haltung von Geflügel und Kaninchen (ZTHZ)
Das Zentrum für tiergerechte Haltung von Geflügel und Kaninchen (ZTHZ) ist eine gemeinsame Forschungsstelle des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und des Veterinary Public Health Institute (VPHI) der Universität Bern. Der Schwerpunkt liegt bei Projekten zur Verbesserung des Wohlergehens von Nutzgeflügel und Kaninchen. Im neuen Versuchsstall auf dem Areal des Aviforum in Zollikofen betreibt das ZTHZ Forschung für Nutztiere. Das Aviforum ist das Kompetenzzentrum der schweizerischen Geflügelwirtschaft in den Bereichen Bildung, Forschung und Dienstleistungen mit eigenem Versuchs- und Produktionsbetrieb.
Zum Autor
Timm Eugster arbeitet als Redaktor in der Abteilung Kommunikation & Marketing der Universität Bern.