Das Fest der Rituale

Die Tanne gehört zu Weihnachten wie das Amen in die Kirche. Dasselbe gilt für Blinksterne, Weihnachtsgans, Stille Nacht und Krippenpracht. Wie das «Fest der Rituale» in verschiedenen Familien gefeiert wird, untersuchen Berner Theologen. Den heiligen Abend lassen sie von Kindern mit dem Fotoapparat dokumentieren.

Von Sabine Off 22. Dezember 2004

Selbst am australischen Bondi Beach und in der internationalen Weltraumstation ISS wimmelt es am 24. Dezember von weihnachtlichen Bräuchen. Während auf dem fünften Kontinent Nikoläuse mit Rauschebärten die Wellen des Pazifiks abreiten, schlagen die Astronauten im All einen künstlichen Tannenbaum auf. In Indien schmücken die Gläubigen anstelle einer Tanne Mangobaum oder Bananenstaude. Und selbst in nichtchristlichen Ländern wie Japan oder China feiert man Weihnachten immer häufiger. Zelebriert wird das Fest nach europäischem Muster: Mit Weihnachtsbäumen, Lametta, Christbaumkugeln und Geschenken. Der Wunsch Weihnachten zu feiern ist demnach in den verschiedensten Kulturen ungebrochen. Die Bräuche hängen oftmals mit den Gewohnheiten der Region und ihrer Menschen zusammen.

Geschmückter Tannenbaum mit Nikolaus
«uniaktuell» ging mit der Kamera in verschiedenen Universitätsgebäuden auf die Suche nach weihnachtlichen Ritualen. Im Haus der Universität positioniert sich der Nikolaus vorm funkelnden Lametta-Baum. Bilder: Sabine Olff

«Weihnachten 2004» wird in 15 Familien dokumentiert 

Wie Familien in der Schweiz den Heiligen Abend begehen, interessiert Wissenschaftler um Maurice Baumann vom Institut für Praktische Theologie an der Universität Bern. Im Rahmen eines Nationalen Forschungsschwerpunktes (NFP 52: Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen im gesellschaftlichen Wandel) analysieren sie, wie sich weihnachtliche Rituale im Laufe der Zeit verändert haben und welche Rolle diese Bräuche in den jeweiligen Familien spielen. Zu diesem Zweck lassen sie «Weihnachten 2004» in 15 Familien von einem Kind mit der Fotokamera dokumentieren. Am Heiligen Abend werden die Acht- bis Zehnjährigen knipsen, was sie als wichtig erachten. Im Anschluss sollen die Kinder anhand der Fotos erzählen, wie sie Weihnachten erlebt haben. Und sie dürfen sich ausmalen, wie das Fest gefeiert würde, wenn sie die Regie übernehmen dürften. Um Veränderungen in den Feiergewohnheiten auf die Spur zu kommen, interviewten die Theologen in der Vorweihnachtszeit zudem die Grosseltern und Eltern. Sie sollten erzählen wie der heilige Abend begangen wurde, als sie Kind, Vater oder Oma waren.

Grosser Tannenbaum mit roten Kugeln im Hauptgebäude der Uni
Im Hauptgebäude steht der grösste aller Uni-Bäume.

Auch Japaner und Afrikaner sind dabei 

Die Familien, die bei der Berner Weihnachtsstudie mitmachen, stammen teils aus verschiedenen Kulturen und gehören unterschiedlichen Religionen an. «Auch Japaner und Afrikaner sind dabei», sagt Baumann. Ausserdem gebe es traditionelle wie Patchwork-Familien. Baumann ist um die multikulturelle und multireligiöse Probandengruppe froh, denn ihn interessiert neben der Atmosphäre und den Bräuchen natürlich auch, inwieweit die Religion beim Feiern von Weihnachten eine Rolle spielt. Er vermutet, dass die Religion im traditionellen Sinn eher unwichtig ist. Vielmehr gehe es darum im Familienkreis zusammen zu kommen. «An Weihnachten wird die Familiengeschichte ritualisiert», vermutet Baumann. Jeder, ob Kind, Mutter oder Opa, habe seinen Platz. In diesem Sinn: Frohe Weihnachten.

Weihnachtsbaum geschmückt vor dem Eingang zur Mensa
Vor der Mensa leuchten bunte Kuglen und selbst richtige Päckchen hängen am und liegen unterm Baum.