Das Gesundheitswesen der Zukunft
Im Berner Wissenschafts-Café ging es um die Frage «Gesundheit Schweiz – wohin?» Die Gäste forderten mehr gesundheitsfördernde Massnahmen, eine bessere Koordination in der Spitzenmedizin und eine angemessene Erwartungshaltung der Patienten.
«In fünf Jahren», wünscht sich Thomas Abel, «sollen die Kinder aus meiner Heimatgemeinde Burgistein auf einem sicheren Veloweg zur Schule fahren können.» Andreas Tobler hofft dagegen, dass die Schweizer Spitzenmedizin im Jahr 2009 besser koordiniert sein wird. Abel, Präventivmediziner an der Universität Bern, und Tobler, ärztlicher Direktor des Berner Inselspitals, waren zusammen mit Urs Birchler, Direktionspräsident des Inselspitals, und Diethelm Hartmann, Vizedirektor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), zu Gast im Wissenschafts-Café «Café Stellina» im Inselspital. Sie suchten vor einem kritischen Publikum nach Antworten auf die Frage «Gesundheit Schweiz – wohin?»

Nur 2,5 Prozent für Prävention
«Die Kosten geraten etwas aus den Fugen», konstatierte BAG-Vizedirektor Hartmann den aktuellen Zustand im Gesundheitswesen. «Wir müssen das System wieder in den Griff bekommen.» Doch wie intervenieren? Hartmann favorisierte eine Strategie, die der Gesundheitsförderung einen höheren Stellenwert einräumt, als es bislang der Fall ist. Momentan werden 95 Prozent der 48 Milliarden Franken im Gesundheitswesen für die Krankheitsversorgung ausgegeben, dagegen nur 2,5 Prozent für Präventionsmassnahmen. Der BAG-Mann setzt auf eine künftige Mittelverteilung von 60 zu 40 und hofft so Krankheiten langfristig vermeiden und Kosten senken zu können. Beispiele aus Finnland belegen eindrücklich, dass sich etwa die Sterblichkeitsrate in Folge von Herz-Kreislauferkrankungen durch geeignete gesundheitsfördernde Massnahmen deutlich reduzieren lässt.
«Bonus ja - Malus sehr vorsichtig»
Präventionsmediziner Abel war mit dem BAG-Vizedirektor auf einer Linie. Er betonte: «Wir vergessen oft, dass Gesundheit nicht von selbst entsteht.» Abel forderte mit der Aussage nicht nur jeden einzelnen zu mehr Bewegung, zur ausgewogenen Ernährung und zum Suchtmittelverzicht auf, sondern appellierte gleichzeitig an die Gesellschaft und die Politik, die Bedingungen für eine gesunde Lebensführung zu schaffen. Sein Beispiel: Der Veloweg in Burgistein. «Gesundheit entsteht in geteilter Verantwortung.» Laut Abel wird das Thema der Zukunft die psychische Gesundheit sein und in diesem Zusammenhang spiele als Bedingung die Arbeitsplatzsicherheit eine sehr grosse Rolle. Bei der Diskussion um die individuelle Gesundheitsförderung, kam die Frage nach einem Bonus-Malus-System auf. Das könnte heissen: Wer nicht raucht, nicht trinkt und sich viel bewegt oder über ein Jahr lang keine Krankenversicherungsleistungen bezieht, bekommt einen Prämienbonus. Wer dagegen trotz Herzinfarkt weiterhin zur Zigarette greift, muss höhere Tarife zahlen. Hartmanns Meinung: «Bonus ja - Malus sehr vorsichtig. Mit einem Malus grenzen wir Teile der Bevölkerung aus.»

Nicht nur teure Spitzenmedizin ist heilsam
Neben der eher langfristigen Perspektive mit Prävention und Vorbeugung das Gesundheitswesen zu entlasten, sahen Hartmann, Abel und die beiden Inselspital-Leitenden in der Erwartungshaltung der Patienten ein akutes Problem. «Die oftmals in den Medien zelebrierten therapeutischen Erfolge schüren grosse Erwartungen», sagte Tobler. «Der Anspruch, wieder gesund zu werden, ist legitim», entgegnete Hartmann. Allerdings vermöge nicht nur teure Spitzenmedizin zu heilen. Um Standards zu setzen, plädierte der BAG-Vizedirektor für Richtlinien zur Behandlung, Diagnostik und Rehabilitation der verschiedensten Erkrankungen. Rationierungen sind dabei nicht ausgeschlossen. Zwangsläufig kam die Runde auf die heikle Frage, in welchen Fällen man überhaupt nach einer medizinischen Lösung suchen solle. In Schweden werden etwa Patienten, die älter als 75 Jahre sind, nur noch in Ausnahmefällen an der Hüfte operiert. Stellung nahm zu dieser Fragestellung nur Thomas Abel. Es gehe hier um eine grundsätzliche Wertefrage, über die die Bevölkerung zu entscheiden habe, sagte er.
Spezialisierung hilft Kosten sparen
Laut dem ärztlichen Direktor des Inselspitals, Andreas Tobler, ist die Diskussion über Rationierungen die falsche. Es müsse dagegen um Rationalisierung gehen. Für ihn lassen sich wie für seinen Kollegen Urs Birchler mit einer besser koordinierten Medizin in der Schweiz am ehesten Kosten bei gleich bleibender Qualität senken. Konkret geht es etwa darum, bestimmte Transplantationen nur noch an spezialisierten Zentren anzubieten. Momentan gibt es sieben Transplantationszentren in der Schweiz, zwei würden genügen. Die Gäste im Wissenschaftscafé jedenfalls hätten mit der Zentralisierung keine Probleme: Sie wären bereit, nicht mehr nur 20, sondern auch 80 Kilometer zum nächsten Zentrum zu fahren. Wie sich das Inselspital Bern künftig positionieren will, war von Direktionspräsident Birchler dagegen nicht genau zu erfahren.
Weiterführende Informationen
Wissenschafts-Café
Das Berner Wissenschafts-Café bietet der Bevölkerung die Möglichkeit über aktuelle Themen mit Wissenschaftlern ins Gespräch zu kommen. Es findet jeweils am ersten Montag im Monat um 18.00 Uhr an wechselnden Orten statt. Veranstaltet wird das Wissenschafts-Café von der Universität Bern und der Stiftung Science et Cité.