«Es spricht nichts dagegen»
Um das Grabtuch von Turin rankt sich ein Forschungskrimi. Der Leichnam Christi soll darin gehüllt gewesen sein. Die Textilexpertin Mechthild Flury-Lemberg begab sich auf Spurensuche. An der Uni Bern sprach sie über neue Hinweise, die für die Echtheit des Grabtuchs sprechen.
Am Grabtuch von Turin scheiden sich die Geister. Für die einen steht fest: Es ist es das Tuch, in das Christi nach der Kreuzigung gehüllt gewesen war. Die anderen warten ab, was die Wissenschaft zu beweisen vermag. Die Textilexpertin Mechthild Flury-Lemberg hatte im Sommer 2002 die bedeutendste und umstrittenste Reliquie der Christenheit für Konservierungsarbeiten immer wieder in ihren Händen gehalten. Dabei hat die ehemalige Leiterin der Textilabteilung der Abegg-Stiftung in Riggisberg bei Bern eine Reihe von Spuren entdeckt, die auf die Existenz des Tuchs im ersten Jahrhundert nach Christus hindeuten. Auf Einladung von Volker Hoffmann vom Institut für Kunstgeschichte sprach Flury-Lemberg am vergangenen Dienstag an der Uni Bern vor voll besetztem Haus über den Forschungskrimi rund um das Leinentuch. Auf die Frage, ob sie nun glaube, dass das Leinen das Grabtuch Christi sei, antwortete die Ehrendoktorin der Universität Bern: «Ich kenne zumindest keinen Grund, der dagegen spricht.»

Flachs aus dem Mittelalter
Deutlich sichtbar wurde das Abbild eines gekreuzigten Mannes auf dem Tuch erstmals im Jahr 1898. Anlässlich einer Ausstellung des Grabtuchs im Dom von Turin schoss der italienische Advokat Secondo Pia im Auftrag der Kirche ein Erinnerungsfoto. Beim Blick aufs Negativ traute Pia seinen Augen nicht: Er erkannte plastisch die hingestreckte Gestalt eines Gekreuzigten, die man auf dem Tuch selbst nur schemenhaft wahrnehmen kann. Das Negativ zeigte den Körper im Positiv. Seitdem haben hunderte von Historikern, Chemikern, Physikern, Biologen und Gerichtsmedizinern versucht, das Alter des Tuchs zu datieren, seine Herkunft ausfindig zu machen und die Entstehung des Abbilds zu erklären. Vor rund 15 Jahren schien die Ära der Grabtuchforschung beendet zu sein: Die Untersuchung von kleinen Stoffstücken mit Hilfe einer Methode, bei der bestimmte Kohlenstoffatome zur Altersbestimmung genutzt werden können (C14-Analyse) hatte ergeben, dass der Flachs zur Herstellung des Leinens im Mittelalter geerntet worden sein muss. Die Ergebnisse wurden im Wissenschaftsmagazin Nature publiziert.
Schlimmer als alle Befürchtungen
Doch die Debatte um die Authentizität des Tuchs flaute nicht ab und auch die Forschung ging weiter. Im Sommer 2002 reiste schliesslich die Textilexpertin Flury-Lemberg nach Turin, um das 4.37 Meter lange und 1.11 Meter breite Tuch zu konservieren. «Das Leinen ist in einem ausgezeichneten Zustand», sagt sie. Allerdings wurden nach einem Brand im 16. Jahrhundert die entstandenen Brandlöcher mit Stoffstücken abgedeckt. Unter den Flicken schlummerte seitdem Kohlenstaub, der den Vergilbungsprozess des Leinens beschleunigt. Verbräunt das Tuch zu stark, ist das mysteriöse Bild auf dem Tuch irgendwann nicht mehr sichtbar. Die Flicken wurden deshalb vor zwei Jahren in wochenlanger Arbeit abgetrennt und der Russ abgesaugt. «Was da an Kohlenstaub zu Tage trat», sagt Flury-Lemberg, «übertraf unsere Befürchtungen bei weitem.» Der Russ habe sich zudem im ganzen Tuch eingenistet. Für die Textilkonservatorin stellen die Kohlenstaubfunde und andere Umwelteinflüsse die C14-Analyse deutlich in Frage. So könne der Kohlenstaub aus dem 16. Jahrhundert die Alters-Analyse verfälscht haben.

Faltungsstil aus der Antike
Bei ihrer Arbeit stiess Flury-Lemberg aber noch auf weitere Hinweise, die zumindest nicht dagegen sprechen, dass das Leinen aus dem ersten Jahrhundert nach Christus stammt. So lässt sich belegen, dass andere Gewebe aus dieser Zeit, genauso gewebt waren. Die zickzackförmige Gewebestruktur findet sich zudem auf einem im «Codex Pray» (1192) abgebildeten Grabtuch wieder. Das Wasserflecken-Muster auf dem Leinen deutet darauf hin, dass das Tuch in Form eines Leporellos zusammengelegt war. Es wurde demnach gefaltet wie in der Antike. Ausserdem, so Flury-Lemberg, zeige das Bild alle Merkmale, die Jesus Christus nach den Beschreibungen in den Evangelien nach der Kreuzigung getragen hat.
Beweise gibt es nicht
Doch wie ist das Bild überhaupt auf den Stoff gekommen? «Das weiss kein Mensch», sagt die Textilexpertin. Fest steht, dass es keine Zeichnung und keine Malerei ist. Dort wo das Bild des menschlichen Körpers zu sehen ist, haben sich die obersten Fasern durch Oxidation braun verfärbt. Bislang sei es niemanden gelungen das Bild zu reproduzieren, betont Flury-Lemberg. Für sie steht fest: «Wir werden weitere Hinweise finden, die für die Authentizität des Grabtuchs sprechen. Den wissenschaftlichen Beweis werden wir jedoch niemals erbringen.»