Plötzlich und unerwartet
Die Zahlen sind alarmierend: Jeden dritten Tag nimmt sich ein junger Mensch in der Schweiz das Leben. Welche Rolle spielt dabei die Schule? In einem Workshop an einer Berner Tagung für Mittelschullehrer nahmen sich Pädagogen der Frage an.
Ein Kind aus ihrem Bekanntenkreis nahm sich vor knapp zehn Jahren das Leben. Da war der Junge gerade 12 Jahre alt, erinnert sich Barbara Meister, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PH). Ein persönliches Erlebnis, das sie geprägt hat: Heute ist sie an der PH verantwortlich für die Bereiche Suizid- und Suchtprävention und präsidiert das «Forum für Suizidprävention und Suizidforschung Zürich» (FSSZ). Damals, sagt Meister, wusste die Schule nicht, wie sie mit dem Selbstmord umgehen soll. Heute versucht sie deshalb Lehrerinnen und Lehrer für das Thema zu sensibilisieren und ihnen Tipps im Umgang mit suizidgefährdeten Jugendlichen zu geben.

Suizidgedanken kennen zwei Drittel aller Jugendlichen
In dem Workshop «Suizidalität im Schulfeld», den Meister an der Berner web-Impulstagung (web: Weiterbildung, Entwicklung und Beratung) zum Thema «Mittelschulen im Stress – Wie gesund ist Schule?» anbot, bestätigte sich, dass bei den Lehrkräften Bedarf besteht: Viele der rund 25 Anwesenden kamen mit dem Verdacht, dass bestimmte Schüler suizidgefährdet sind. Dass solche Vermutungen ernst genommen werden müssen, zeigen die Zahlen. In der Schweiz nimmt sich durchschnittlich jeden dritten Tag ein junger Mensch das Leben - meist sind es Jungs, die sich für den Freitod entscheiden. Selbsttötung ist unter Jugendlichen nach Unfall die häufigste Todesursache. Suizidgedanken kennen zwei Drittel aller Heranwachsenden.
Wirklich sterben wollen die wenigsten
Warum haben so viele Jugendliche diese Gedanken? «In der Pubertät stellt sich die Frage, ob sich das Leben lohnt oder nicht», sagt Meister. Man empfinde erstmals Verantwortung für das eigene Sein. Es dreht sich plötzlich alles um die eigene Identität, um Beziehung und Sexualität und um die Zukunft. Damit gehen oftmals Probleme in Schule und Familie einher. «Alle Jugendlichen haben ein Puff», so Meister. Manch Einem raubt dieses Durcheinander sämtliche Energie. Die Jugendlichen ziehen sich zurück, fühlen nichts mehr, sind ohne Ziel. Während die einen mit solchen Krisen innerlich wachsen, dreht sich für die anderen die Spirale immer weiter: Wut und Ohnmacht kommen auf. Die Gedanken kreisen. Die Jugendlichen denken daran, tot zu sein. Doch wirklich sterben wollten die wenigsten, betont Meister. Vielmehr gehe es darum, anders leben zu wollen als bisher. Dafür sprechen wiederum Zahlen: Neun von zehn Menschen, die einen Suizidversuch hinter sich haben, sind langfristig froh, dass er fehlgeschlagen ist.

Lernen darüber zu reden
Deswegen gilt es aufmerksam zu sein und bei bestehender Suizidgefahr Hilfestellungen anzubieten. In der Schule können abfallende Leistungen, Isolation und Suchtmittelkonsum auf Probleme hinweisen. Insbesondere auf die Jungen sollte man achten, gab Meister den Tipp. Sie animierte die anwesenden Lehrkräfte dazu, das Thema Suizid bei Verdacht direkt anzusprechen. «Wir müssen lernen darüber zu reden», sagt sie. Dadurch könnten die Jugendlichen unter anderem erfahren, dass sie mit ihren Gedanken nicht alleine sind. Das Bedürfnis zu reden ist da: Viele Jugendliche tauschen sich über ihre Selbstmordgedanken im Internet aus. Das Web kann aber eine gefährliche Plattform sein. Signalisieren die Schüler jedoch, dass sie über ihre Situation nicht sprechen wollen, müsse das respektiert werden, so Barbara Meister. Sie riet in einer solchen Situation dazu, mit den Schülern in Beziehung zu bleiben. Solche Einsätze können aber auch die Lehrer an ihre Grenzen bringen. «Sie müssen sich überlegen, ob sie genug Ressourcen haben», so Meister. Ausserdem solle man sich um die eigene Rückendeckung und Unterstützung kümmern.
Weiterführende Informationen
web-Impulstagung
Auf der 9. web-Impulstagung für Mittelschullehrer, die hauptsächlich von der Abteilung für das höhere Lehramt der Uni Bern organisiert wurde, drehte sich alles um das Thema Gesundheit und Schule. In 17 Workshops ging es zum einen um die Gesundheit der Schüler, zum anderen um die Gesundheit der Lehrkräfte. «Wir sind mit Anmeldungen überflutet worden», berichten die Organisatoren.