Ägyptischer Kultstätte droht Zerfall
Nach viereinhalbtausend Jahren ist das Osireion baufällig geworden. Das Fundament des Scheingrabs von Totengott Osiris steht zu grossen Teilen unter Wasser. Berner Geologen und Bauingenieure haben den Zustand der Kultstätte untersucht und schlagen Sanierungskonzepte vor.
In Abydos im Nildelta, 560 Kilometer südlich von Kairo, lag einst der heiligste Ort, das «Mekka» Ägyptens. Der mythische Ur-König und Totengott Osiris soll hier begraben worden sein. Am Westende des Totentempels liegt das Osireion, das Scheingrab des ersten Königs von Ägypten. Der Komplex wurde vor rund viereinhalbtausend Jahren gebaut. Es ist einer der bedeutendsten und ältesten Kultstätten Ägyptens. Nun droht dem einstigen Pilgerort der Zerfall. «Das Fundament des Osireions steht fast das ganze Jahr unter Wasser», sagt Christian Schlüchter vom Institut für Geologie an der Uni Bern. Er hat zusammen mit Diplomanden den Zustand und die Gründe für den Zerfall der Kulturstätte untersucht. Studierende von der Hochschule für Architektur, Bau und Holz in Burgdorf (HSB) liefern Vorschläge für Sanierungsmassnahmen. Die Idee für das Projekt stammt von Theo Abt. Der Präsident der Gesellschaft der Freunde ägyptischer Königsgräber will das Osireion möglichst originalgetreu restaurieren lassen.

Salzkrusten zersetzen uralte Steine
Das Osireion ist in mehrere Kammern unterteilt. Die Zentralkammer ist 27 Meter lang und 21 Meter breit. In ihr liegt eine Art Insel, die von einem künstlichen Kanal umschlossen wird. Der Kanal ist mit dem Nil verbunden. Die Insel wurde früher allein bei Nilhochwasser überschwemmt. Wenn sich die Wassermassen zurückzogen, kam die Insel wieder zum Vorschein. Sie sollte das immer wieder aufkeimende Leben symbolisieren. Heute ist die Insel fast permanent überschwemmt. Auch in den übrigen Kammern steht das Wasser teils bis zu einem Meter hoch.
Das Wasser ist Grundwasser und stammt hauptsächlich aus den Quena-Sanden, dem Hauptgrundwasserleiter des Niltals, wie Diplomandin Lea Odermatt nachweisen konnte. Aufgrund des aufgestauten Nassersees bei Assuan gibt es keine Hoch- und Tiefstände des Nils mehr. «Der hohe hydrostatische Druck führt wahrscheinlich zu einem höheren Grundwasserspiegel und damit zu den permanenten Überschwemmungen des Osireions», erklärt Schlüchter. Ein Umstand mit weit reichenden Folgen: Das salzhaltige Wasser steigt durch die Kapillarwirkung in den Wänden hoch und verdunstet in der trockenen Hitze Ägyptens. Zurück bleiben die Salze, die auskristallisieren und die Steine langsam zersetzen. Die Folge: das Bauwerk zerfällt.

Abbauen, abdichten, aufbauen
Über einem Restaurationskonzept für das Osireion haben Diplomanden der HSB gebrütet. Sie favorisieren eine Variante, bei der das gesamte Gebäude abgebaut, der Boden abgedichtet und danach Stein für Stein alles wieder aufgebaut wird. Wahrscheinlich müssten dabei einige Steine, die bereits stark zerstört worden sind, ersetzt werden. Daniel Zürrer, Diplomand an der Uni Bern, hat bereits die Herkunft der Originalsteine bestimmt, so dass ein naturgetreuer Nachbau möglich wäre. Ob und wann die Sanierung in Angriff genommen werden kann, entscheiden im Herbst 2005 die zuständigen ägyptischen Behörden. Schlüchter ist zuversichtlich, dass der Entscheid positiv ausfällt: «Wenn wir heute das Geld bekommen, können wir morgen mit den entsprechenden Massnahmen beginnen.»