Die überschätzte Macht der Bilderflut

Die Bilderflut ist nicht die Ursache für Analphabetismus und Legasthenie. Darin waren sich die Bild- und Kommunikationsexperten im Berner Wissenschaftscafé einig. Sie diskutierten mit dem Publikum zudem über den Umgang mit den Bilderbergen.

Von Sabine Olff 09. Februar 2005

Um die Lesekompetenz ist es in der Schweiz schlecht bestellt. Eine OECD-Studie zeigt: Bei jedem dritten Schweizer sind die Lesekenntnisse nur knapp ausreichend. Fast jeder Zehnte hat sogar Mühe den Fahrplan zu entziffern. Was sind die Ursachen für den Analphabetismus? Ist daran womöglich die Flut der Bilder schuld? Über die Auswirkungen der Bilderflut wurde am vergangenen Montag im Berner Wissenschaftscafé diskutiert. 

Publikum im Wissenschaftscafé
Die Gäste im Berner Wissenschaftscafé waren rege im Gespräch mit ... Bilder: Sabine Olff

Lesen ist schwierig und anstrengend

Während ein Teil des Publikums die Schuld für das Leseunvermögen durchaus bei den Bildern sah, fegten alle drei Diskussionsteilnehmer den Zusammenhang rasch vom Tisch. «Ich vertraue dem Bild und kann nicht sehen wo die Gefahren sind», sagte Werner Jeker, Graphik-Designer und Co-Studienleiter Visuelle Kommunikation an der Hochschule der Künste Bern. Er kenne dumme Bücher und dumme Bilder. Der Kunsthistoriker Peter Schneemann von der Uni Bern ärgerte sich gar über den unterstellten Zusammenhang: «Man darf das Bild nicht gegen die Schrift ausspielen.» Es gebe dagegen eine Lese- und eine Bildkompetenz.

Für den Umgang mit Bilderbergen ist der Mensch anscheinend gut bestückt: «Wir können mehrere Bilder pro Sekunde wahrnehmen und verarbeiten», erläuterte Rudolf Groner vom Institut für Psychologie an der Universität Bern. Lesen sei dagegen viel schwieriger und anstrengender. Für den Medienpsychologen geht Analphabetismus und Legasthenie deshalb auf die Schwierigkeit zurück Lesen zu lernen. Er stellte fest: «Es gibt keinen empirischen Befund, dass die Bilderflut die Lesekompetenz verschlechtert.»

Peter Schneemann und Marcus Moser im Gespräch
... Peter Schneemann vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern, Marcus Moser, Kommunikationschef der Uni Bern, ...

«Die Medien beherrschen die Bilder nicht»

Und wie steht es um die Bildkompetenz? Bei dieser Frage mussten die Diskussionsteilnehmer passen. Es existierten keine Testverfahren, mit denen das Bildverständnis überprüft werden kann. Laut Jeker zeige sich aber tagtäglich in den Medien, dass es um die Bildkompetenz nicht gut bestellt zu sein scheint: «Die Medien beherrschen die Bilder nicht.» Für Schneemann liegt der Schlüssel zum Bildverständnis in der Sprachkompetenz. In der Kunstgeschichte gehe es immer auch darum das Bild in Worte zu fassen.

Treffen die Erfahrungen eines Gasts im Wissenschaftscafé zu, können aber immer weniger Jugendliche verständlich beschreiben was sie auf einem Urlaubsfoto sehen. Geht mit der mangelnden Sprachkompetenz eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber Bildern einher? Haben Millionen von Menschen für die von der Flutwelle in Asien betroffenen Regionen gespendet, weil sie darin die einzige Möglichkeit sahen, um auf die schrecklichen Bilder zu reagieren? Die Fragen blieben offen.

Rudolf Groner und Werner Jeker an der Diskussionsrunde
... Medienpsychologe Rudolf Groner und Werner Jeker, Graphik-Designer und Fachmann für visuelle Kommunikation.

«Bilder machen» als Intelligenzexzess

Ob und wie Bilder verstanden werden, ist auch eine Generationenfrage. Denn: So wie sich der Wortschatz verändert, wandelt sich auch die Wahrnehmung. Schneemann prophezeite, dass viele Grosseltern aktuelle Kino-Spots nicht verstehen würden. Für ihre Enkel sei das Werbeanliegen dagegen vollkommen klar. Die Bilder müssen demnach typisiert werden, auch was ihr Gefahrenpotential betrifft. So können etwa Bilder die Gewaltszenen zeigen, bedenklich sein. Doch solche Bilder und die Diskussion über sie hätten eine grosse Tradition, sagte der Kunsthistoriker. «Es gibt kaum etwas grausameres als die Gewaltdarstellungen aus dem Mittelalter.»

Das Resumé des Abends: Grosse Gefahren verbergen sich hinter der neuen Bilderflut anscheinend nicht. Um mit den Bildern umgehen zu können, muss nicht ihre Zahl kontrolliert, sondern die Bild-, Sprach- und Lesekompetenz verbessert werden. Graphik-Designer Jeker animierte das Publikum sogar zur eigenen Bildproduktion. «Man kann durch Bilder machen etwas lernen», sagte er. Ein Plakat zu entwerfen, sei wie ein Gedicht zu schreiben. «Es kann ein Intelligenzexzess sein.»

Weiterführende Informationen

Wissenschaftscafé

Das Berner Wissenschafts-Café bietet der Bevölkerung die Möglichkeit über aktuelle Themen mit Wissenschaftlern ins Gespräch zu kommen. Es findet jeweils am ersten Montag im Monat um 18.00 Uhr an wechselnden Orten statt. Veranstaltet wird das Wissenschafts-Café von der Universität Bern und der Stiftung Science et Cité.