Gesucht: Rheumamittel aus Cannabis
Die Jahrtausende alten Erfahrungen mit Cannabis als Medizin wollen Forscher in einem EU-Projekt wiederbeleben. Ein Berner Biochemiker ist mit dabei. Er sucht in der Hanfpflanze nach rauscharmen Stoffen, die rheumatische Entzündungen lindern können.
Bereits seit 4000 Jahren vertrauen von Rheuma geplagte Chinesen auf Cannabis. Bis vor rund 60 Jahren wurde Hanf auch in der westlichen Welt als Arzneimittel genutzt. So soll die britische Königin Viktoria bei Migräne-Attacken auf das benebelnde Kraut geschworen haben. Mittlerweile hat Haschisch als Rauschmittel Karriere gemacht; die medizinischen Anwendungen blieben dabei weitgehend auf der Strecke. Cannabis und die daraus gewonnenen Stoffe sind in der Schweiz verboten – sowohl als Droge wie als Arznei.

Cannabis-Extrakte gegen Migräne und Rheuma
Die Jahrtausende alten Erfahrungen mit der Hanfpflanze als Medizin wollen Forscher in einem EU-Projekt nun wiederbeleben und wissenschaftlich belegen. Lienhard Schmitz vom Institut für Chemie und Biochemie der Universität Bern ist mit dabei. Schmitz und Kollegen sind auf der Suche nach wirksamen Cannabis-Extrakten gegen Migräne und rheumatische Arthritis. Das entscheidende dabei: die Präparate sollen keinen Rausch erzeugen. «Die künftige Hanfarznei wird mit Haschisch wenig zu tun haben», sagt der Berner Biochemiker.
Die Cannabispflanze ist eine chemische Fabrik. Ihr prominentestes Produkt ist das Tetrahydrocannabinol, kurz THC genannt. THC gehört zur Gruppe der Cannabinoide und steckt in jedem Joint. Es benebelt das Gehirn und ist damit psychoaktiv wirksam. Die Substanz kann bei Patienten, die an Multipler Sklerose leiden, aber auch zuckende Muskeln beruhigen und Schmerzen lindern. Bei Aids- und Krebskranken wirkt es gegen Appetitlosigkeit.
THC interessiert nicht
THC interessiert Schmitz und Kollegen jedoch nicht. Sie haben es auf die etwa 50 anderen Cannabinoide und sonstigen Substanzen in den verschiedenen Hanfsorten abgesehen. Die Wissenschaftler fahnden nach rauscharmen Stoffen oder Stoffgemischen, die antientzündlich und damit schmerzlindernd wirken. Denn rheumatische Arthritis geht auf Entzündungen in Gelenken zurück. Auch bei der Migräne stecken anscheinend Entzündungen hinter den quälenden Schmerzattacken.

Finanziert wird das Projekt mit 1,5 Millionen Euro von der EU. Erstmals werden die Inhaltsstoffe des Hanfs systematisch unter die Lupe genommen. Am Projekt sind neben der Uni Bern Forschungseinrichtungen in Finnland, Spanien, Grossbritannien, Deutschland, Italien und den Niederlanden sowie drei Unternehmen beteiligt. Die Firmen kümmern sich unter anderem um den Anbau von verschiedenen Hanfpflanzenarten. Von Interesse sind in erster Linie die Arten mit einem niedrigen THC-Gehalt. An den Universitäten werden die Extrakte hergestellt und auf Wirkung und Nebenwirkung in Zell- und Tiermodellen getestet.
In Bern geht es um Rheuma
In Bern hat es Lienhard Schmitz auf die antirheumatischen Eigenschaften der Substanzen abgesehen. Er konnte im Zelllabor bereits drei potentiell wirksame Extrakte ausfindig machen. Gerade bei den Rheumamitteln ist der Bedarf nach neuen, besseren Medikamenten gross. Herkömmliche Mittel haben oft starke Nebenwirkungen. Das Präparat «Vioxx» musste wegen erhöhtem Infarktrisiko sogar vom Markt genommen werden.
Schmitz ist nach den ersten Zwischenergebnissen zuversichtlich, dass einige seiner Kandidaten auch im Tierversuch bestehen werden. Danach gilt es eine Methode zu etablieren, mit der die pharmakologisch wirksamen Pflanzenextrakte standardisiert produziert werden können. Erst dann können klinische Studien mit Rheumakranken durchgeführt werden. Schmitz: «Wir werden frühestens in zwei bis drei Jahren so weit sein.»