Hinterrhein – ein Bergdorf an der Autobahn

Ungewöhnlicher Ort für eine Berner Premiere: An der Uni wurde der Dokumentarfilm «Hinterrhein» erstmals vorgeführt. Im Rahmen des NFP 48 portraitiert die Volkskundlerin Lisa Röösli den Bündner Bergbauernalltag einst und heute.

Von Sabine Olff 08. Juni 2005

Der 80-Seelen-Ort «Hinterrhein» liegt direkt an der A13 beim San Bernardino-Tunnel, 1600 Meter über Meer. Waldgrenze und Panzerschiessplatz sind in Sicht- und Hörweite. Post, Sennerei und Schule sind im Dorf längst verschwunden. Das letzte Gasthaus wurde bereits vor mehr als 40 Jahren geschlossen. Es gibt noch einen Laden und eine Werkstatt für Landmaschinen. Ansonsten leben die Dorfbewohner von der Bauerei.


Ein Bergdorf mit Autobahnanschluss. (Bilder: zvg)

Verwurzelt und nicht rastlos

In den 1940er Jahren hat Kameramann Hermann Dietrich die Hinterrheiner Bäuerinnen und Bauern bei der Arbeit gefilmt. Rund 60 Jahre später war die Volkskundlerin Lisa Röösli im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts NFP 48 «Landschaften und Lebensräume der Alpen» erneut mit der Kamera im Ort unterwegs. Sie porträtiert acht Menschen, die teils auch im Schwarzweiss-Film eine Rolle spielen. Die alten und die neuen Aufnahmen hat Röösli in dem Dokumentarfilm «Hinterrhein – ein Bergdorf im Umbruch» vereint.

So beklagt Ida Stoffel, die 1945 beim Wildheuet im Steilhang stand, dass die Arbeit der Bauern heute nicht mehr geschätzt werde. Bergbauer Alfred Furger blickt nachdenklich zurück: «In meinen Augen ist das ein sterbendes Dorf. Früher waren es noch 17 Familien, die von der Landwirtschaft lebten. Jetzt sind es noch 11, bald werden es nur noch 8 sein.» Dennoch will zumindest keiner der Älteren weg von Hinterrhein – trotz Schiessplatz und Autobahn. Das Dorf ist eine Welt für sich. Dabei haben die Menschen ihren feinen Sinn für die Realität bewahrt. Sie sind verwurzelt, nicht rastlos. Und leben auf eindrückliche Art selbstgenügsam und nachhaltig.


«Heimat ist Hinterrhein.»

Kontinuität und Wandel

Manch einer der abgewanderten Dorfbewohner sehnt sich nach diesen Werten zurück. «Heimat ist nur Hinterrhein», sagt etwa der 98-jährige Hans Lorenz, den es ins Tessin verschlagen hatte. Im vergangenen Jahr ist er in seine Heimat zurückgekehrt. Er wurde – seinem Wunsch gemäss – auf dem Hinterrheiner Friedhof begraben.

Lisa Röösli zeigt einfühlsam die Spuren von Kontinuität und Wandel und provoziert damit eine Diskussion über heutige Wertevorstellungen. Der Dokumentarfilm ist ein gelungener Mix aus volkskundlicher Dokumentation und den lebensnahen Porträts der verschiedenen Dorfbewohner. «Hinterrhein – ein Bergdorf im Umbruch» ist ab Samstag, den 11. Juni, im Berner Kellerkino zu sehen.

Oben