Zwischen Mischwald und Mundflora

Mitte August wurde Marc Lauenstein Vize-Weltmeister im Orientierungslauf. In der Zwischenzeit heimste er auch noch den Gesamtweltcup-Titel in der Langdistanz ein. Seit einigen Tagen ist der künftige Zahnarzt an der Uni Bern wieder am Büffeln.

Von Sabine Olff 31. Oktober 2005

Er rennt zur Uni. Regelmässig. Manchmal auch querfeldein. Dabei gibt es für Marc Lauenstein keinen Grund zu hetzen. Um sechs Uhr in der Früh steht er auf. 20 Minuten später geht er aus dem Haus. Von Schüpfen nach Bern brächte ihn die S-Bahn in 18 Minuten. Doch Lauenstein läuft lieber. Von seiner Haustür bis zur zahnmedizinischen Klinik sind es etwa 16 Kilometer. Seine Bestzeit liegt bei 55 Minuten. Danach tauscht der angehende Zahnarzt die Sportmontur gegen die weisse Klinikkluft aus. Pünktlich um acht beugt er seinen Kopf über den Mund des ersten Patienten.


Simone Niggli-Luder gratuliert Marc Lauenstein zur Silbermedaille. (Bild: photopress)

WM-Zweiter in der Königsdisziplin der OL-Läufer

Die Distanz Schüpfen - Bern hat der 25-Jährige kürzlich auch bei der WM der Orientierungsläufer in Japan abgespult. Den schnellsten Weg durch den japanischen Wald musste er allerdings erst einmal suchen. Nach 29 angelaufenen Posten und 900 Höhenmetern stand er schliesslich auf dem Treppchen. Lauenstein ist Vize-Weltmeister auf der Langdistanz und damit in der Königsdisziplin der OL-Läufer.
«Dabei lief es am Anfang gar nicht gut», erinnert er sich. Auf dem Weg zum neunten Posten habe er die Goldmedaille verbockt. Auf seinem Laptop ruft er die WM-Karte auf, Massstab 1:15 000, und deutet mit seinem Finger zwischen zwei Höhenlinien. Dort habe er einen falschen Weg eingeschlagen. Der Umweg kostete ihn knapp zwei Minuten. Genau jene zwei Minuten lief der Erstplatzierte eher ins Ziel. Lauenstein freut sich trotzdem, sehr sogar. So erfolgreich wie in dieser Saison war er noch nie. Anfang Oktober heimste er beim Weltcuprennen in Italien auch noch den Gesamtweltcup-Titel über die Langdistanz ein.

Staatsexamen während OL-Elite durch die Wälder rennt

Da passt es gar nicht, dass nächstes Jahr das Staatsexamen in Zahnmedizin auf dem Terminplan steht. Ab Anfang Mai wird sich eine Prüfung an die nächste reihen. Wenn alles rund läuft, hat er fünf Monate später das Examen in der Tasche. Die OL-Weltelite wird sich derweil ihren Weg durch die Wälder bahnen. «Ich werde nächstes Jahr auf internationale Wettkämpfe verzichten», sagt der sympathische Student und wirkt an diesem Nachmittag erstmals ein wenig unzufrieden. Sein Blick lässt jedoch erahnen, dass das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen ist. Der Sport sei eben seine Leidenschaft, legt er denn auch nach. Bereits als Sieben-Jährigen haben ihn seine Geschwister zum Training mit in den Wald genommen.


An der Uni hat Marc Lauenstein einen Acht-Stunden-Tag. (Bild: sol)

Mehr als 550 Stunden Training pro Jahr

Die Doppelbelastung Studium und Spitzensport bringt Lauenstein nicht zum ersten Mal in Schwierigkeiten. Rund 550 Stunden trainiert er pro Jahr – mentales Training exklusive. Viele dieser Stunden verbringt er mit dem Schweizer OL-Team in fremden Ländern und Wäldern. Sonderkonditionen im Studium hat und will er nicht. Er hat an der Uni einen Acht-Stunden-Tag; Präsenz ist Pflicht. Es fuchst ihn, wenn die Leistungen nicht stimmen. «Ich bin ehrgeizig – nicht nur im Sport», sagt der angehende Zahnarzt und lächelt verlegen. Ohne Kompromisse komme er jedoch nicht durch. Bislang hat er seiner Leidenschaft den Vorzug gegeben. Im zweiten Studienjahr musste er dafür büssen: Der Neuenburger wechselte nach dem Einführungsjahr in Neuchàtel an die Uni Bern. Studium, Sprache, Sport vermochte selbst Marc Lauenstein nicht unter einen Hut zu bringen. Das erste Jahr in Bern musste wiederholt werden.

In Rängen mag er nicht denken

Ob er nach seinem Abschluss ein Profijahr einlegen wolle, fragt die Journalistin. Nein, antwortet der OL-Läufer. Davon könne hier zu Lande wahrscheinlich nur Simone Niggli-Luder leben. Ausserdem brauche er die Abwechslung. Nach dem Studium will er als Zahnarzt arbeiten. Sein Ziel? «Zunächst muss ich noch ein bisschen selbstsicherer werden.» Fasziniert ist der bescheidene Arzt in spe aber auch von der Wissenschaft. «Über die Mundflora weiss man noch längst nicht alles», sagt er und schliesst eine Forschungsarbeit in diesem Gebiet nicht aus.
Und im Sport? Zunächst will er zurück in den A-Kader. Im Vorfeld dieser Saison wurde er nämlich in den B-Kader zurückversetzt. Eine Massnahme, die offenbar Ehrgeiz und Trainingseifer geweckt haben. Lauenstein hofft, dass sein Motor am laufen bleibt. Die aktuellen Leistungen will er bestätigen und am liebsten natürlich noch besser werden. «In Rängen mag ich dabei nicht denken», sagt der Vize-Weltmeister ganz seinem Typ entsprechend. Verständlich. Denn da bleibt ja nur noch Einer.