Treibhausgase höher als je zuvor

Die heutigen Kohlendioxidwerte in der Atmosphäre sind 27 Prozent höher als je zuvor in den letzten 650'000 Jahren. Das zeigen zwei im Wissenschaftsmagazin «Science» veröffentlicht Studien von Berner Klimaforschern. Die Treibhausgase wurden im ältesten je erbohrten Eis der Welt analysiert.

Von Sabine Olff 24. November 2005

In winzigen Luftblasen sind im polaren Eis atmosphärische Treibhausgase aus vergangenen Klimaepochen eingeschlossen. Treibhausgase bestimmen die Temperaturen auf der Erdoberfläche, indem sie die Wärmestrahlung der Erde teilweise absorbieren. Forscher von der Abteilung für Klima- und Umweltphysik am Physikalischen Institut der Universität Bern konnten dem ältesten je erbohrten Eis der Welt nun seine Geheimnisse entlocken: Sie analysierten die Konzentration von Kohlendioxid, Methan und Stickoxid der vergangenen 650'000 Jahre und blicken damit 210'000 Jahre weiter in die Vergangenheit zurück als bislang.

Cover des Science Magazins
Die im rund 800'000 Jahre alten Eisbohrkern eingeschlossene Luft wurde in Bern analysiert. Bild: Science

«Ergebnisse von solchem Kaliber» 

Die Resultate von Urs Siegenthaler und Renato Spahni wurden am 25. November 2005 im renommierten Wissenschaftsmagazin «Science» in zwei Arbeiten (Science, Bd. 310, S. 1313 und S. 1317) publiziert. «Es freut uns, Ergebnisse von solchem Kaliber veröffentlichen zu können», sagte Science-Redakteurin Caroline Ash, an einer Medienkonferenz, die anlässlich der Veröffentlichung der Daten in Bern stattfand.

Eines der bedeutendsten Resultate der beiden Arbeiten: Die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre sind heute deutlich höher als je zuvor. Der aktuelle Kohlendioxidwert liegt 27 Prozent über dem höchsten jemals gemessenen Wert. Die heutige Stickoxidkonzentration ist sogar 130 Prozent höher als je zuvor in den letzten 650'000 Jahren. «Die moderne Atmosphäre ist absolut anormal», fasst es Edward Brook von der Abteilung für Geowissenschaften an der Oregon State University in Corvallis (USA) in einem Kommentar in Science zusammen.

Thomas Stocker, Leiter der Berner Abteilung für Klima- und Umweltphysik und Mitautor der beiden Studien, sagte an der Medienkonferenz: «Die Daten liefern neue Eckwerte in der Diskussion über das Ausmass und die Bedeutung des gegenwärtigen Anstiegs der Treibhausgase durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und die Änderung der Landnutzung.»

Forschungsstation
Die Forschungsstation Dome Concordia, die im Rahmen von EPICA in der Antarktis aufgebaut wurde. Bild: A. Lori, ENEA, Italien

Ältestes Eis aus einer Tiefe von 3270 Metern 

Als Material für die Analysen der Berner Klimaforscher dienten zwei Eisbohrkerne mit einer Gesamtlänge von knapp sechs Kilometern. Sie wurden im Rahmen des europäischen Grossprojekts EPICA (European Project for Ice Coring in Antarctica) aus der Ostantarktis an der Station Dome Concordia geholt. Das älteste Eis stammt aus einer Tiefe von 3270 Metern. Eis ist ein ideales Klimaarchiv. Denn bei seiner Entstehung aus Schneekristallen werden kleine Luftbläschen eingeschlossen. Und somit gibt die Analyse der Luft Auskunft über vergangene klimatische Verhältnisse. «Die beiden Eiskerne decken rund 890'000 Jahre Klimageschichte ab», erläuterte Stocker. In diesem Zeitraum wechselten sich acht Mal Warm- und Eiszeiten ab.

Noch weiter in die Vergangenheit blicken 

Eine Untersuchung, die bereits letztes Jahr veröffentlich wurde, zeigt, dass bis vor 400'000 Jahren eine andere Klimaepoche herrschte. Die Eiszeiten waren wesentlich kürzer, die Warmzeiten entsprechend länger, dafür aber deutlich kühler, als in den letzten 400'000 Jahren. In welchem Mass die Treibhausgase an den klimatischen Eigenheiten der damaligen Zeit beteiligt waren, offenbaren nun die Untersuchungen des Berner Teams: Die Konzentrationen von Kohlendioxid und Methan waren während den kühleren Warmzeiten vor 400'000 Jahren deutlich tiefer als in den nachfolgenden wärmeren Warmzeiten. «Dies bedeutet, dass die Konzentration der Treibhausgase auch in früheren Klimaphasen mit der Temperatur korreliert hat», sagte Stocker.

Künftig will das Berner Team noch weiter in die Vergangenheit blicken. Die Eisbohrkerne hüten schliesslich noch 240'000 Jahre Klimageschichte.