Von Moral und Spitzenforschung
4 von 137 Arbeiten wurden am Tag der Klinischen Forschung ausgezeichnet. Die Preisverleihung war eingebettet in ein honoriges Vortragsprogramm: Der Mediziner Thierry Carrel redete über Innovationen in der Herzchirurgie; der Zürcher Ethiker Hans-Peter Schreiber über Biomedizin und Moral.
Thierry Carrel referierte am Tag der klinischen Forschung am vergangenen Mittwoch nicht nur über die Vorteile der Spitzenmedizin; der Berner Herzchirurg verkörperte sie zugleich: Am Morgen war Carrel am rechten Auge operiert worden, am Nachmittag stand er als Gastredner im überfüllten Langhans Hörsaal vor Studierenden, Doktorierenden, Assistenzärzten und Professoren. In seinem Vortrag ging es unter anderem um Zelltransplantation, High-Tech-Kunstherzen und Herzklappen und damit um die Früchte aus der Zusammenarbeit zwischen Chirurgen und Grundlagenforschern.

Forschungspreis für Stammzellprojekt
Medizinisch geforscht wird in Bern insbesondere am Departement für Klinische Forschung (DKF); was genau, erklärten junge Wissenschaftler im Foyer des Hörsaals. Insgesamt wurden 137 Poster präsentiert. Die Arbeiten stammten aus den unterschiedlichsten Bereichen; es ging etwa um Biomechanik, Krebserkrankungen, Epidemiologie, Immunologie, Infektionskrankheiten und Zellbiologie.
Vier Arbeiten wurden ausgezeichnet. Die drei mit 2000 Franken dotierten Förderungspreise des DKF erhielten Isabell Greeve von der Neurologischen Klinik für die beste klinische Arbeit, Juliett Martin vom Institut für Klinische Pharmakologie für die beste Arbeit in der präklinischen Forschung und Stephan Portmann vom Institut für Angewandte Physik für die beste Arbeit eines Medizinstudenten.

Mit dem Forschungspreis 2005 wurde Robert Andres von der Neurochirurgischen Klinik geehrt. Das Preisgeld in Höhe von 30'000 Franken wurde dem 32-jährigen Mediziner für ein zukunftsträchtiges Projekt verliehen: Er will untersuchen, ob und inwiefern Ratten, die einen Hirnschlag erlitten haben, von einer Therapie mit neuronalen Stammzellen profitieren können. Die Stammzellen sollen das bei der Hirnblutung zerstörte Gewebe ersetzen und somit neurologische Schäden, wie beispielsweise Lähmungen, vermeiden helfen. Das Rattenmodell, in dem die Wirksamkeit der Stammzellen getestet werden kann, hat Andres bereits entwickelt. «Das Projekt hat Potential und klinische Relevanz», sagt Hans Rudolf Widmer, Leiter des Berner Forschungslabors für Neurochirurgie. Womöglich könnten so irgendwann Hirnschlagpatienten mit Stammzellen behandelt werden.
Die Natur war Weisheit Gottes
Die Stammzellforschung ist ein Beispiel für einen Forschungszweig, von der die «scientific community» grösstenteils begeistert ist. Die Öffentlichkeit steht solchen biomedizinischen Entwicklungen dagegen mit Skepsis gegenüber. Warum die Bevölkerung vom wissenschaftlichen Fortschritt irritiert ist, versuchte der Theologe und Philosoph Hans-Peter Schreiber von der ETH Zürich im Langhans-Auditorium zu erklären. Schreiber, der seit 2001 in der Ethikkommission von Novartis angehört, blickte dazu ins 18. Jahrhundert zurück. Die Biologie war damals Teil der Theologie, die Natur ein Teil der Weisheit Gottes.

Keine Tabus mehr
Im 19. Jahrhundert kam der grosse Umbruch: Mit der Evolutionstheorie Darwins (1868) wurde die Biologie als Wissenschaft verstanden. Die Prozesse in der Natur wurden ohne Transzendenz rational erklärbar. «Die Natur wurde enttheologisiert und damit entmoralisiert», sagte Schreiber. Und: Der Mensch sei Teil dieser entmoralisierten Natur. Mit diesem Verständnis löste sich auch die Medizin vom religiösen Deutungssystem. Die Suche nach Sinn und Moral in der Natur ist bei den Menschen aber bis heute erhalten geblieben.
Das Ergebnis der Enttheologisierung: «Es gibt keine Tabus mehr», so Schreiber, »nichts mehr, dass aus moralischen Gründen technisch nicht machbar ist.» Die teils unheimlich anmutenden Errungenschaften der Biomedizin, wie die verbrauchende Embryonenforschung, die Reproduktionsmedizin, die Gendiagnostik und das Klonen, seien damit das Ergebnis unserer eigenen Kulturgeschichte – mit vielen ethischen Problemen.