«Warum hasst ihr uns so?»

Die Radio-Korrespondentin Iren Meier verleiht den Konflikten im Irak und in Palästina ein Gesicht. Und ihren Opfern eine Stimme. Für ihre Art der Friedensförderung zeichnete sie die Theologische Fakultät mit dem Ehrendoktortitel aus. Ein Bericht über Meiers Arbeit.

Von Kathrina von Wartburg 06. Dezember 2005

Fadwa ging wählen. Fadwa lebt im Irak und gehört zu den Menschen, denen Iren Meier, Nah- und Mittelostkorrespondentin von Radio DRS, vor Ort begegnet ist. Fadwa sei stolz auf ihren Mut, sagt Meier. Aus Angst vor Anschlägen habe sie sich kaum aus dem Haus getraut.

Iren Meier ist seit 2004 in Beirut stationiert und berichtet über den Irak, den Libanon und den israelisch-palästinensischen Konflikt. Aber vor Allem spricht sie von Menschen und lässt Leidtragende sprechen. Am vergangenen Freitagabend tat sie das auf Einladung der theologischen Fakultät an der Uni Bern.

Iren Meier bei der Übergabe des Titels
Iren Meier bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde am Dies academicus. Bilder: Stefan Wermuth

Die Zeit nach Saddam

Es war Frühling als Iren Meier in Beirut ankam. Es war die Zeit von Abu Ghraib. Der Skandal um das Gefängnis versetzte die arabische Welt in Aufruhr und nährte die Wut gegen die Besatzer. Jeder, ob Freund oder Feind der US-Amerikaner, war entsetzt. Beispielsweise auch eine gebildete ältere Frau. Sie bewunderte die Amerikaner und war froh, als Saddam Hussein gestürzt wurde. Heute ist sie zornig und tief enttäuscht über ihre früheren Lehrer. «Sie haben keinen Respekt für unseren <way of life>, keinen Respekt vor der irakischen Kultur und Tradition», lässt Meier die Frau vom Tonband sprechen. Ein Mann, der nach ein paar Monaten in Abu Ghraib freikam, spricht über die Folterungen. Er fragt: «Warum hasst ihr uns so?» Mit solchen Aussagen wurde und wird Iren Meier immer wieder konfrontiert, widerspiegeln sie doch eine Erfahrung, die die meisten Menschen im Nahen Osten gemacht haben: Die Erfahrung nicht respektiert zu werden.

Die Menschen im Irak erzählen jedoch auch über ihr Leben unter Saddam, darüber wie schrecklich die Diktatur gewesen sei. «Aber», sagt Meier, «sie wollen die Zeit unter Saddam nicht mit der Zeit seit dem Sturz vergleichen.» Sie wollen und können nicht sagen, ob es heute besser oder schlechter ist. Krieg und Besatzung sind Fakten. Ebenso der irakische Widerstand. Es gibt kein Zurück. Es gibt nur Menschen wie Fadwa, die sich mutig der Realität stellen, und damit jeden Tag um ein bisschen Frieden kämpfen.

Eine Mauer gegen den Frieden

Der Rabbi Ackermann ist in Israel mit demselben Ziel unterwegs. Der Jude kämpft für den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern, für das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat. Ackermann legitimiert seinen Widerstand gegen den Krieg mit der Thora: «Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes steht da, auch die Palästinenser.» 

Iren Meier mit Rabbi Ackermann
Meier: «Die Menschen haben keine realen Vorstellungen von den Gegnern.»

Meier illustriert die Situation in der Krisenregion: Israel baut derzeit eine Mauer, die palästinensische Terroranschläge verhindern soll. Palästina wird dadurch in zusammenhangslose Gebiete geteilt. Die Mauer nährt den Hass jener, die eingesperrt sind. «Die palästinensische Gesellschaft wird in Stücke gerissen», sagt ein Politologieprofessor aus Abu Dis. Die hohe Betonwand geht mitten durch Abu Dis und trennt die Vorstadt von Jerusalem.

Durch den Mauerbau werden Feindbilder und Stereotypen gestärkt. «Die Menschen haben keine realen Vorstellungen von den anderen, den Gegnern», sagt Meier. Für einen Palästinenser ist ein Israeli entweder Soldat oder Siedler. Für einen Israeli ist ein Palästinenser ein potentieller Selbstmordattentäter. David, ein junger jüdischer Anwalt, der sich wie der Rabbi für den Frieden einsetzt, erzählt von seinen Begegnungen mit Palästinensern: «Es sind Menschen wie wir. Wie wir wünschen sie sich endlich Frieden.»

Für die Menschlichkeit

Man liest hierzulande oft und viel über den Nahen Osten. Über Terrorismusbekämpfung und Siedlungen. Über irakische und amerikanische Politiker. Iren Meier konfrontiert uns hingegen mit den Menschen, die in den Krisengebieten leben. Mit ihrem Leid, ihrer Traure und ihren Ängsten und Hoffnungen. Bei ihrer Berichterstattung orientiert sich Meier an der Menschenwürde und an den Menschenrechten. Ihre Beiträge zeigen, dass ein Krieg – mag er noch so gerechtfertigt sein – immer grausam ist. Hört man Iren Meier zu, fragt man sich plötzlich nicht mehr: Ist die Schutzmauer in Israel oder die Besetzung Iraks politisch-strategisch notwendig, klug oder gerecht? Sondern: Ist sie menschlich?

Für ihre sensible Berichterstattung, die die Menschen unter Hochachtung ihrer Würde in den Mittelpunkt stellt, verlieh ihr die theologische Fakultät am 3. Dezember 2005 die Ehrendoktorwürde.