Weihnachtszeit, Familienzeit

Das Institut für praktische Theologie untersuchte Weihnachtsrituale in Schweizer Familien und liess Kinder «ihr» Weihnachtsfest mit einem Fotoapparat dokumentieren. Es zeigte sich, dass wir Weihnachten alle gleich feiern. Und dennoch ist jedes Fest einzigartig.

Von Kathrina von Wartburg 22. Dezember 2005

Der Tannenbaum ist geschmückt, die Kerzen brennen. Nach dem üppigen Weihnachstmahl sitzt die Familie jetzt um den Baum, noch einmal singen alle zusammen «Stille Nacht». Dann endlich dürfen die Kinder die sorgfältig eingepackten Geschenke auspacken. So oder ähnlich feiern wohl die meisten Weihnachten. Das Institut für praktische Theologie der Universität Bern wollte es genau wissen: Im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunktes (NFP 52: Generationenbeziehungen im gesellschaftlichen Wandel) analysierten die Berner Theologen Weihnachtsrituale in Schweizer Familien. Mit einbezogen waren traditionelle Familien und alleinerziehende Mütter, aber auch Familien mit einem ausländischen Elternteil. Die Kinder durften Fotos ihres Festes knipsen und wurden zu diesen befragt. Eltern und Grosseltern erzählten, was für sie das Wichtigste an Weihnachten ist und wie bei ihnen früher gefeiert wurde. Die Auswertungen sind noch nicht abgeschlossen, erste Tendenzen sind jedoch erkennbar.

Person zündet Kerzen an Christbaum an
Die Kerzen werden angezündet. Die Bilder wurden von den beteiligten Kindern geknipst.

«Die Grundelemente, der Baum, die Kerzen, das Singen, der Spannungsaufbau bis die Geschenke ausgepackt werden dürfen, all diese Dinge sind überall vorhanden» sagt Maurice Baumann, Leiter des Projektes, «und trotzdem ist jedes Fest ein Originalfest.» Seine These lautet: Mit dem Weihnachtsfest inszeniert sich die Familie selber, inszeniert ihre eigene Geschichte. Das Ritual soll zeigen, dass hier eine Familie feiert. Während sich die Gesellschaft zunehmend individualisiert, besinnt man sich an Weihnachten auf Solidarität und Zusammengehörigkeit.

Keine Geschenkorgien

Die Untersuchung zeigt aber auch, dass das Klischee, es gehe bei Weihnachten vor Allem um Konsum, nicht stimmt. Vielmehr findet auch um das Schenken ein Ritual statt, angefangen beim Einpacken bis hin zu unterschiedlichen Strategien, wie mit Geschenken umgegangen wird. So werden in einer Familie nicht alle Geschenke am selben Tag ausgepackt. Das Auspacken wird über drei Tage verteilt, vom Heiligabend bis zum Stefanstag. In einer anderen Familie werden vor Weihnachten Zettel gezogen. Jedes Familienmitglied muss nur dem Mitglied, dessen Name auf dem Zettel steht, ein Geschenk machen. Diese Beispiele zeigen, dass es weniger um die Geschenke denn um das Schenken geht. Obwohl die meisten Familien ihre Weihnachten nicht als religiöses Fest ansehen, spielen mythologische Figuren und religiöse Symbole überall eine grosse Rolle. «Damit wird signalisiert, dass es um etwas sehr Spezielles, Grosses geht» meint Baumann. Es ist nicht einfach ein Fest; es ist das wichtigste Fest des Jahres.

Christbaum mit Geschenken
Mit Spannung warten die Kinder darauf, die Geschenke auspacken zu dürfen.

An Weihnachten geht es laut der Umfrage weder um Geld noch um Individualität. Es ist die Zeit, in der sich die Familie zusammenfindet. Die Zeit, in der alle Familien vor der gleichen Kulisse ihre eigene Geschichte spielen. Die Zeit auch, in der die Grosseltern und Kinder, jene also, die in der Arbeitswelt keine Rolle spielen, die Hauptakteure sind. «Weihnachten ist wie ein Fussballspiel» sagte eine der befragten Personen. «Die Grosseltern bestimmen die Spielregeln, die Tradition; die Eltern organisieren alles und die Kinder schiessen das Tor.» In diesem Sinn: Frohe Weihnachten!