Aus dem Spinnennetz entfliehen

Wer Angst vor Spinnen hat, flieht vor ihnen. Glaubt man. Doch Neuropsychologen an der Uni Bern haben entdeckt, dass Spinnenphobikerinnen und –phobiker auch eine andere Strategie haben: Beobachten.

Von Bettina Jakob 13. April 2006

Da sitzt sie in der Zimmerecke, klein, vielleicht ein bisschen schwärzer als nötig. Aber völlig harmlos. Doch der Puls der Versuchsperson schnellt auf 180 Schläge pro Minute: Blitzschnell hat sie die Spinne auf dem Foto entdeckt– und ebenso schnell wieder weggesehen. Für die Klientin bedeutet das Tierchen eine Gefahr, die zu Schweissausbrüchen und Panik führt. «Spinnenphobikerinnen und –phobiker sind hypersensibilisiert», sagt Tobias Pflugshaupt vom Labor für Perzeption und Okulomotorik der Uni Bern. Der Neuropsychologe hat nachgewiesen, dass Menschen, die eine krankhafte Angst vor Spinnen haben, auf Fotos versteckte Achtbeiner schneller finden als Menschen, die diese Furcht nicht kennen. Die Spinne einmal entdeckt, vermeiden es die Phobikerinnen und Phobiker aber, das Krabbeltier wieder anzusehen. Pflugshaupt und sein Team haben dies mittels Videookulographie festgestellt: Zwei auf einem Helm installierte Infrarotkameras zeichneten mit 250 Bildern pro Sekunde die Augenbewegungen von 21 Phobikerinnen und 21 gesunden Kontrollpersonen auf.

Grosse Spinne
Faszination, Ekel oder Panik: Spinnen können starke Gefühle in Menschen auslösen. Bilder: Zvg

Nicht alle Phobiker reagieren gleich

Diese Resultate bestätigen folgende Logik: Wer Angst hat, der flieht! Neuropsychologe Pflugshaupt sah diese Hypothese gestützt, bis die Forschenden ein weiteres Experiment starteten: Wurde den Spinnenphobikern zum Beispiel gleichzeitig das Bild einer furchteinflössenden haarigen Vogelspinne und das eines bunten Schmetterlings gezeigt, traten erstaunlicherweise zwei Verhaltensweisen auf. Die einen blickten wie erwartet nur kurz auf die überdimensionale Spinne und zogen dann den Schmetterling vor.

Die andere Gruppe – aufgrund der Ergebnisse von Fragebögen als nicht minder phobisch eingestuft – blickte auf die Tarantel und konnte den Blick kaum mehr abwenden. «Einige Probanden zeigen das bekannte Vermeidungsverhalten», so Tobias Pflugshaupt. Die anderen scheinen die Spinne kontrollieren zu wollen und fixieren sie. «So wissen sie immer, was das Tier tut.» Die Publikation mit den überraschenden Resultaten soll noch in diesem Jahr erscheinen.

Bild Vogelspinne neben Bild Schmetterling und eingezeichnete Häufigkeit der Ansicht durch die Phobiker
Es gibt Phobiker, die es möglichst vermeiden, die Spinne anzusehen (rote Punkte)…
Bild Vogelspinne neben Bild Schmetterling und eingezeichnete Häufigkeit der Ansicht durch die Phobiker Nummer 2
…und es gibt die, welche die Spinne wachsam beobachten.

Die Angst muss ausgehalten werden

Die neuen Erkenntnisse können vielleicht mithelfen, die Therapie gegen Spinnenphobie noch besser an die Betroffenen anzupassen. Das Labor für Perzeption und Okulomotorik arbeitet mit der Psychiatirschen Universitätspolyklinik des Inselspitals zusammen: Oberarzt Wolfgang Schmitt bietet Therapiestunden für Menschen mit Angst- und Zwangsstörungen an. Der Psychotherapeut erklärt die Konfrontationstherapie: «Die Angst geht nur weg, wenn die Betroffenen lernen, die Angst auszuhalten. Nur so machen sie die Erfahrung, dass nichts passiert.» Diese ambulante Therapie gegen die Spinnenphobie kann allerdings nur jemand machen, der ansonsten psychisch gesund ist, wie Psychotherapeut Schmitt sagt. Bis aber eine Phobikerin – die meisten Personen mit einer Spinnenphobie sind Frauen – eine Spinne in ihrer Wohnung aushalte, könne es schon mal 20 Sitzungen dauern.

Eltern «lehren» das Fürchten

So läuft die Bewältigungstherapie ab: In Gesprächen werden Ursachen der Angststörung gesucht. Zum einen kann gemäss Schmitt  ein schlimmes Erlebnis mit einer Spinne zur Phobie führen. Zum anderen scheinen die Eltern als Vorbild eine wichtige Rolle zu spielen. Wenn Vater oder Mutter auf den Anblick von Spinnen überzogen reagieren, dann «lehren» sie dem Kind buchstäblich das Fürchten. Im praktischen Teil notiert sich der Patient, welche Szenen für ihn erträglich sind und welche nicht: Eine Spinne im Keller ist vielleicht weniger schlimm als wenn sie frech auf dem Badewannenrand sitzt. «Der Klient setzt sich nach und nach diesen Situationen aus», sagt Psychotherapeut Schmitt. Durch die Gewöhnung an das Horrorobjekt verliert sich die Panik. «Die Angst, die in keinem Verhältnis zur wirklichen Gefahr steht, wird langsam umprogrammiert», so Schmitt. Der Phobiker wird auch auf kognitiver Ebene unterstützt: Er lernt, die Spinne anders zu sehen: Als hierzulande harmloses Krabbeltier, das – wenn man es genau betrachtet – eher braun als rabenschwarz ist.

Weiterführende Informationen

Die Spinnen

80 Prozent der bis heute beschriebenen Tieren, das heisst 1,25 Millionen Arten, sind dem Stamm der Gliederfüssler (Arthropoda) zuzuordnen, dem auch die Spinnen angehören. Heute sind 50’000 Spinnenarten auf der Erde bekannt. In der Schweiz zählt die Spinnenfauna rund 960 Arten. Als Räuber sind Spinnen unterschiedlichsten Lebensräumen angepasst. Die meisten Spinnenarten sind kleiner als ein Zentimeter. Die größte Spinne ist die südamerikanische Vogelspinne Theraphosa blondi mit neun Zentimetern Körperlänge. Die kleinste Spinne dagegen ist nur so groß wie dieser «.» Weltweit können nur 30 Spinnen für den Menschen gefährlich werden.

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