Bildungswüste im Irak

Professoren werden verfolgt, kritische Themen nicht gelehrt, und die Bibliotheken sind leer – die Situation an den Unis im Irak ist desolat. Hashim Al-Tekriti, Geschichtsprofessor in Bagdad, sprach an der Uni Bern darüber.

Die Hochschulbildung im Irak liegt darnieder – wie ein «schwerkranker Mensch». So begann Hashim Al-Tekriti seinen Vortrag. In der Folge zeichnet er ein desolates Bild der irakischen Unis; die langjährige Diktatur hat tiefe Spuren hinterlassen. «Die Unis haben in Entwicklungsländern neben der Bildung eine zusätzliche Aufgabe: Sie müssen den wissenschaftlichen Rückstand zur restlichen Welt aufholen», sagt Al-Tekriti. Das alte Regime von Saddam Hussein hatte jedoch keine Ahnung von der Bedeutung und den Aufgaben der Universitäten. Lehrkräfte und Professoren wurden nach Loyalität und Parteizugehörigkeit eingestellt statt nach ihren Fähigkeiten. Das Regime hat nach Belieben gute Wissenschaftler aus der Uni gedrängt und zu Beamten gemacht. 

Foto von Gebäuden der Uni Bagdad
Universität Bagdad: Die Professoren leben in ständiger Angst. Bilder: Gerhard Lange, giv

Die Geschichte endet 1958

Der Lohn der Professoren betrug unter Saddam Hussein monatlich höchstens 200 US Dollar; zum Leben reichte das nicht. Die Regierung mischte sich auch in die Lehre der Uni ein: Sie bestimmte, was im Geschichtsstudium gelehrt wurde. Kritische Themen wurden ausgeklammert, die neuere Geschichte endete mit der Revolution 1958: «Die Politiker befürchteten, dass die Militärdiktatur von den Professoren kritisch beurteilt würde», sagt Al-Tekriti.

«Lahmer Wissenschaftsbetrieb»

Die Folgen dieser Bildungspolitik sind gravierend und bis heute spürbar: Von den Lehrkräften sind gerade mal sieben Prozent Professoren. Wegen den tiefen Löhnen sind die Dozenten zudem auf ein Zusatzeinkommen angewiesen. Das Lehrpersonal leidet wegen der Angst vor Verfolgung unter Depressionen und psychischem Stress. All dies wirkt sich auf die Bildung der Studierenden aus: «Das Niveau der Uni-Absolventen ist viel tiefer als im Westen», so Al-Tekriti. Abschlussarbeiten in Geschichte sind oft nur eine Auflistung von historischen Ereignissen – Eigenleistung und kritische Auseinandersetzung fehlten gänzlich, sagt er. Hinzu kommt, dass die Unis im Irak – und insbesondere in Bagdad – massiv überfüllt sind. «Die Aufnahme von Studenten erfolgt planlos und ohne Rücksicht auf deren Qualifikation». Kongresse, Vorträge oder Foren wie sie bei Schweizer Unis an der Tagesordnung sind, gibt es nicht, genauso wenig wie ein «Studentenleben». Es herrsche ein lahmer Wissenschaftsbetrieb, Kontakte nach aussen fänden kaum statt, meint Al-Tekriti.

Hörsaal der Universität Bagdad

Vor dem Krieg ist nach dem Krieg

Seit dem Einmarsch der USA im Frühjahr 2003 hat sich an der Situation nicht viel geändert. Die Löhne seien zwar etwas gestiegen, aber seit der Besatzung herrschten Unsicherheit und Chaos. Bibliotheken wurden von Plünderern leergeräumt, mehr als 200 Professoren und Dozenten seien seither ermordet worden. Wer dahinter steckt, weiss niemand so genau. «Die neue Regierung ist nicht in der Lage, das Lehrpersonal zu schützen» meint Al-Tekriti resigniert. Viele Wissenschaftler haben das Land verlassen. Offiziell gibt es zwar keine Verbote mehr, was gelehrt werden darf und was nicht. Milizen versuchen jedoch immer wieder, Einfluss zu nehmen und üben Druck auf die Dozenten aus. «Im Irak traut sich keiner der Professoren, seine Meinung öffentlich kundzutun», so Al-Tekriti.

Radikalkur gefordert

Al-Tekriti ist überzeugt: Der schwerkranke Patient – die irakische Hochschulbildung – braucht eine Radikalkur. Die Liste seiner Vorschläge ist lang, ein Auszug: Die Politik soll sich nicht mehr einmischen. Kreatives und kritisches Denken muss gelehrt und gefördert werden. Professoren sollen nur nach ihren Fähigkeiten eingesetzt werden. Und es braucht Aufnahmeprüfungen für Studenten, mehr finanzielle Mittel und einen Anschluss an die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen in der Welt.

Ob er nicht Angst um sein Leben habe und wie viele Kollegen das Land verlassen wolle, fragt ein Zuhörer am Ende des Vortrags. «Nein» sagt Al-Tekriti. «Das ist unser Schicksal, und wir müssen es erfahren.»

Zur Person

Hashim Al-Tekriti

Hashim Al-Tekriti studierte Geschichte in Bagdad und Moskau. Seit 1988 ist er Professor für neuere Geschichte am College of Arts an der Universität Bagdad. Er ist Mitherausgeber des Magazins für Irak-Studien. Seine Vortrags- und Forschungstätigkeit führte ihn auch in die USA und die ehemalige Sowjetunion. Al-Terkiti sprach an den Universitäten Bern, Zürich und Basel. Die Vortragsreihe wurde initiiert von einer Projektgruppe der Uni Basel.

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