David reist zu Goliath
Sein Beruf sind die Fische, sein Hobby die Bären. David Bittner, Populationsgenetiker an der Uni Bern, reist wenn immer möglich nach Alaska zu den Kodiak-Bären um sie zu beobachten und zu fotografieren. Jetzt steckt er mitten in der Vorbereitung für die dritte Reise in diesem Sommer.
Ein Lächeln umspielt seine Lippen, fast zärtlich spricht er von der Wildnis, von der archaischen Insel unterhalb Alaskas. Es klingt wie eine Gutenacht-Geschichte über tobende Stürme, über die unendliche Stille und – über die Bären. Doch sein Tagebuch liest sich eher wie ein Krimi: «Mama Bär zögert keinen Augenblick und rennt auf mich zu. Das Adrenalin schiesst mir durch den Körper.» David Bittner ist unversehens in das Territorium einer Bären-Mutter geraten. «Grad nach der Flussbiegung steht sie da, mit ihren Jungen.» Die Bärin entdeckt den Berner Populationsgenetiker, der sich mit seinem Floss im seichten Wasser davonmachen will. Sekunden später steht das Tier über ihm und jagt David Bittner den grössten Schrecken seines Lebens ein.
Angesicht in Angesicht mit einem Kodiak-Bären. (Bilder: David Bittner)
Doch genau dieses Auge-in-Auge «riss mich vom Sockel», sagt er heute und grinst. Vor fünf Jahren ist dies passiert, und seither sind Bären die Leidenschaft des 29-jährigen Doktoranden. Und zwar nicht irgendwelche Bären, nein, die Kodiak-Bären. Dieser Braunbär lebt an der südlichen Küste Alaskas und ist der grössere Bruder des berühmten Grizzlys, der im Landesinnern umherstreift. Ein stattliches Kodiak-Männchen kann gute 800 Kilogramm schwer werden, dagegen ist der europäische Braunbär im Bärengraben ein Leichtgewicht; er wiegt nur ein Drittel soviel. Jetzt steckt David Bittner mitten in den Vorbereitungen für seine dritte Reise zu den Riesen. Im Juli gehts wieder los.
Vom Fisch auf den Bär gekommen
Eigentlich wollte David Bittner friedliche Anglerferien verbringen, damals vor vier Jahren: Er reiste deshalb auf die Kodiak-Inseln um Lachse zu beobachten und zu fangen. Damals war der edle Fisch noch sein Lieblingstier; schon als kleiner Bub sauste David Bittner im Berner Oberland mit der Angel den Bächen nach. Heute untersucht er als Genetiker die Felchen im Thunersee; er will herausfinden, warum viele Fische in diesem Gewässer Missbildungen an ihren Geschlechtsorganen aufweisen. David, der Fischfan. Und doch diente der Lachs in Alaska plötzlich nur noch der Nahrung. Denn der Bär hatte den Berner gepackt – genauer gesagt Mama Bär. Die Bärin hatte ihm ins Gesicht gebrüllt, mit der Tatze am Gummistiefel geschubst. «Ich streckte die Arme schützend vor mich und rief immer wieder easy Mama, easy Mama», erinnert sich Bittner. Die Bärin liess plötzlich von ihm ab und der junge Abenteurer verbrachte eine schlaflose Nacht. Schock und Faszination überkamen ihn wie ein Fieber. «Ja, es ist wie eine Sucht», versucht er seine Leidenschaft zu erklären. Den Bärenspuren zu folgen, die Tiere zu beobachten, zu fotografieren und zu filmen. Das sei pures Glücksgefühl. «Vielleicht ist es sogar besser als verliebt sein?» Bittner grinst wieder.
David Bittner hat das Nachtessen besorgt – Lachs direkt aus dem Wasser gezogen.
Auf seiner Homepage schwelgt der 29-Jährige von den Expeditionen, er hält Vorträge und spart jedes Fränkli für die nächste Reise. Und nachts, da tauchen Mama Bär, «Big Boy» und «Rosie» auf.
Elektrozaun und Satellitensystem
Alleine für zwei Monate im Niemandsland Alaskas, das will gut geplant sein. Die Vorbereitung läuft schon jetzt auf Hochtouren, es gibt viel zu tun: Seinen Chef auf der Abteilung Populationsgenetik hat er überzeugt, Bittner bekommt zwei Monate unbezahlten Urlaub. Das Seekajak für die Reise entlang der Katmai-Küste hat er unter der Hand erhalten, ebenso die Kamera, beides sind Leihgaben von Sponsoren. Noch müssen aber Details mit dem Buschpiloten besprochen, Karten studiert und die Arme fürs Paddeln trainiert werden.
Auf dem obersten Platz der Checkliste steht allerdings der Elektrozaun. «Die ziemlich vielen Volt schützen das Camp», erklärt Biologe Bittner. Denn nachts kämen oft neugierige Bären vorbei. «Dann hört man sie schnaufen.» Berührt ein Tier den Zaun, bebt der Boden. «Dann trampelt der Bär schnell davon.» An zweiter Stelle der langen Liste steht der Erste-Hilfe-Kasten, ausgebaut von seinem Vater, einem Arzt. Und auf Rang drei folgt die Verbindung zur Zivilisation: ein Notsignal-Gerät mit Satellitensystem. «Bei Lebensgefahr kann ich den Knopf drücken und innert Minuten wird man meinen Aufenthaltsort kennen», sagt Bittner. Und innert ein paar Stunden ist Hilfe da – wenn das Wetter will.
Das Camp ist von einem Elektrozaun umgeben.
Das Gehör wird sehr sensibel
Unendliche Wildnis - das sind die Kodiak-Inseln.
Am schwierigsten an der ganzen Reise sei das Heimkommen. «Der Lärm in der Stadt verwirrt einen total», sagt Bittner. Das Gehör sei so sensibel geworden in der Stille. «Ist ein Bernmobil-Bus 30 Meter hinter mir, habe ich das Gefühl, jetzt gleich überfahren zu werden.»
In zwei Jahren, wenn David Bittner seine Dissertation abschliesst, möchte er für längere Zeit zu den Bären fahren. Am liebsten als Forscher. Bis dahin träumt er weiter von seiner «Rosie».