Die Herzdame war schon immer mit im Spiel
Verpönt und verboten war im Mittelalter, was heute fast alle tun: Kartenspielen. Eine Berner Historikerin nahm die Berner Karten des 16.Jahrhunderts unter die Lupe, und fand, siehe da, eine alte Bekannte – die Herzdame.
Beim Jassen kann es schon mal üble Laune geben, nämlich wenn der Gegner schon wieder drei Asse hat, und grad auch noch Nell und Buur. Und wenn es vielleicht noch um Geld geht … da platzt einem Kartenspieler aus Willisau, irgendwann im 14. Jahrhundert, der Kragen. Er zieht seinen Dolch und wirft ihn gen Himmel – herunter fallen fünf dunkle Blutstropfen. Ehe er sich versieht, hat der Teufel sich den zornigen Verlierer geholt. Diese Schauergeschichte illustriert, wie man im frühen Bern zu Kartenspielen stand: «Sie galten als reine Glücks- und Geldspiele», sagt die Berner Historikerin Claudia Engler, welche nur zu gottlosem Benehmen, zu Bankrott, Mord und zu Familiendramen führten: 1755 setzte ein Vater aus Flugbrunnen sogar seine Tochter als Gewinn ein.
Der Berner Rat verbot um 1367 des Teufels Zocken. Das Spiel mit «Fortuna», dem Glück, wurde gleichgesetzt mit Unvollkommenheit, und nur Narren, Gauner und Soldaten fielen nach Auffassung der Obrigkeit in diese Niederungen. Die höfische Gesellschaft pflegte derweil die Tugend der «Providentia», der weisen Voraussicht, und setzte sich an edlen Holztischchen hinters Schach- und Mühlebrett, bei denen nicht Zufall, sondern taktisches Geschick zum Sieg verhilft.
Auch Witwen druckten mit
Die ältesten gefundenen Spielkarten stammen aus dem 12. Jahrhundert und wurden in Ägypten entdeckt. Vom arabischen Raum haben Kaufleute das «frevelhafte Spiel» nach Europa gebracht, doch gemäss wissenschaftlicher Erkenntnisse soll dessen Ursprung in Indien oder China liegen, erklärt Claudia Engler. In ihrer Studie, die demnächst im Journal «Board Game Studies» publiziert wird, untersuchte die Konservatorin für historische Buchbestände der Stadt- und Universitätsbibliothek Bern (StUB) die Karten des spätmittelalterlichen Berns; davon besitzt die StUB eine kleine Sammlung aus dem 16. Jahrhundert.
Alle Kartenbogen wurden hierzulande auf Papier gedruckt. «Die Stempeldrucke konnten rationell und billig hergestellt werden», führt Engler aus. Einheitlich koloriert wurden die Motive mithilfe von Schablonen, die Rückseiten der Karten bekamen Ornamente, damit Schmutzspuren nicht das Spiel verraten. «In Bern gab es den eigenen Berufsstand des Kartenmachers», sagt die Historikerin, allerdings besserten auch viele Witwen ihr Einkommen mit Kartendrucken auf.
Bekannte Motive auf den Karten
Ein beliebtes Motiv auf den Spielkarten waren Landsknechte, die ihre Lanzen tragen und die Schwerter schwingen. «Krieg und Glücksspiel stehen einander sehr nahe», so Engler. Ähnlich dem Wirtshaus war der Krieg ein Ort des Spiels, wo ja in der Tat die Ausschliesslichkeit von Gewinn und Verlust herrscht. In mittelalterlichen Darstellungen sitzen die Soldaten oft vor den Karten; bereits in den vier Evangelien wird beschrieben, wie die Soldaten unter dem Kreuz Christi um dessen Kleider würfeln. Neben wilden Gesellen im Kampf kann man ab dem 16. Jahrhundert bereits bekannte Motive auf den Spielkarten identifizieren: Rose oder Schilte etwa, die noch heute das deutsche Kartenset zieren. Und die anmutige Herzdame und ihr König auf den französischen Karten mischen nicht erst heute den Jass auf, sie taten es schon vor fünfhundert Jahren im frühen Bern.
Wildeste Phantasien
Doch die meisten Karten zeigten im Mittelalter noch keine einheitliche Figuren. Genaugenommen gab es fast so viele Motive, wie es Phantasien gab. Und diese Phantasien waren oft deftig, wie Claudia Engler bemerkt: Unflätige und alkoholisierte Kerle, unkeusche Frauen, die den Rock anheben, abgefallene Geistliche, die der Völlerei erliegen – viele Bilder auf den mittelalterlichen Karten widerspiegelten den schlechten Ruf, den das Spiel hatte. Dass schliesslich die Karte mit dem «Unteren» noch den «Oberen» schlägt, und damit die geltende Ordnung auf den Kopf stellt, lässt die Obrigkeit unverhältnismässig hohe Bussen ausstellen: Wer beim Glücksspiel erwischt wurde, musste mit einem halben Jahr Verbannung aus der Stadt Bern rechnen und «mit harten ungnaden an…libe und guot», wie die Berner Mandate festhielten.
Immer höhere Bussen
Nach der Berner Reformation 1528 war die Situation nicht etwa besser: Kirche und Staat waren dem Kartensspiel gegenüber noch strenger eingestellt. Doch gleichzeitig entdeckte die Obrigkeit die Spielbussen als attraktive Einnahmequelle. Der Höchstbetrag für ein verbotenes Spiel wurde vom 15. bis ins 18. Jahrhundert 200 Mal hinaufgesetzt. Die strengen Sanktionen bargen aber auch eine Krux: «Es war schwierig, die Spieler überhaupt zu finden», sagt Engler. Die Pokergesichter zeigten schon damals keine Regung, keiner verpfiff seinen Spielerfreund. Und manch ein Ordnungshüter nahm die Verfolgung nicht gar so ernst – mischte er doch selbst eifrig die Karten.