Die Ökonomin arbeitet als Putzfrau
Viele Migrantinnen sind gut ausgebildet. Dennoch finden sie nur selten eine entsprechende Stelle auf dem Arbeitsmarkt. Yvonne Riano und Nadja Baghdadi vom Geographischen Institut der Uni Bern untersuchten die berufliche Integration von Migrantinnen in der Schweiz.
Rund die Hälfte der Auswanderer weltweit sind Frauen. In der Schweiz leben rund 750'000 Migrantinnen. Doch darüber wie sie leben und arbeiten, wissen wir wenig. Da ihr Aufenthalt oft an die Ehe gebunden ist, werden sie mehr als Ehefrauen denn als potentielle Arbeiternehmerinnen wahrgenommen. Aber: Diese Frauen sind gut qualifiziert. «Die Forschung und die Integrationspolitik haben sich bisher zuwenig mit diesen gebildeten Migrantinnen befasst», sagt Yvonne Riano. Die Berner Geographin leitet ein Projekt im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 51 «Integration und Ausschluss». Gemeinsam mit Nadja Baghdadi führte sie zahlreiche Gespräche und Gruppendiskussionen mit lateinamerikanischen und arabischen Frauen; jenen also, die aus Nicht-EU-Ländern immigrieren. Die meisten Teilnehmerinnen der Studie sind verheiratet und zwischen 30 und 40 Jahre alt. Viele sind seit über zehn Jahren hier und haben inzwischen den Schweizer Pass.

Nur wenige können ihr Potential einbringen
Kommen die Migrantinnen in die Schweiz, sprechen sie oft noch nicht sehr gut deutsch – es entsteht der Eindruck, sie seien nicht intelligent. Weitere Vorurteile sind, dass diese Frauen passiv und hilfsbedürftig sind und die Staatskasse belasten. Die Resultate der Studie von Riano und Baghdadi zeichnen ein anderes Bild: Die Mehrheit der Teilnehmerinnen hat einen Universitätsabschluss. «Oft sprechen sie mehrere Sprachen und haben internationale Berufserfahrung», sagte Baghdadi in einem Vortrag. Zudem bringen sie viel Eigeninitiative und Engagement mit – alles Qualifikationen, die auf dem Arbeitsmarkt eigentlich gefragt sind.
Eigentlich – denn die Frauen können diese Fähigkeiten nur selten einbringen. Ein Drittel von ihnen arbeitet nicht, die Hälfte weit unter ihren Qualifikationen und teilzeit. «So verlieren viele mit der Zeit ihre Qualifikation im erlernten Beruf», so Riano. Zum Beispiel die gelernte Kinderärztin, die nur noch den Haushalt macht. Oder die Ökonomin, die heute als Putzfrau arbeitet. Natürlich gebe es auch positive Beispiele. Etwa 10 Prozent finden einen Job, der ihrer Ausbildung entspricht und sind festangestellt: Die gelernte Betriebswirtschafterin, die Managerin in einer Bank ist, zum Beispiel.

Diplome werden nicht anerkannt
Auf der Suche nach einer Anstellung, stellen sich den Frauen gleich mehrere Hürden in den Weg. Ihre Diplome, Abschlüsse und Berufserfahrungen werden oft nicht anerkannt. Die wenigsten können es sich finanziell leisten, die Ausbildung in der Schweiz zu wiederholen. Dass in der Deutschschweiz Mundart gesprochen wird, erschwert die berufliche Integration zusätzlich. Und wie die meisten Frauen, stehen auch Migrantinnen vor dem Problem, wie sie Arbeit und Familie unter einen Hut bringen. «Wegen dem fehlenden sozialen Netz ist dies für Migrantinnen eine besondere Herausforderung», sagt Riano. So entstehen Unsicherheiten und Ängste, die Frauen verlieren Autonomie und ihr Selbstwertgefühl sinkt.
Berufliche Weiterbildung ist notwendig
Durch die Migration gehen den Ländern ausserhalb Europas qualifizierte Arbeitskräfte verloren. Sie kommen in die Schweiz – und werden dort ungenügend eingesetzt. Um die Situation in der Schweiz zu verbessern, sollten Migrantinnen ihre berufliche Zukunft besser planen, sich hier weiterbilden, sich politisch, beruflich und privat vernetzen, meint Baghdadi. Der Staat müsste einheitliche Instanzen und Richtlinien festlegen, welche die Anerkennung der ausländischen Diplome regeln und die Angebote in der Kinderbetreuung verbessern. Nützlich wären auch Stipendien und spezifische Weiterbildungsangebote – wie zum Beispiel fachspezifische Deutschkurse. Es ist schade, dass die Migrantinnen ihr Potential nicht einbringen können – denn davon würde wohl auch die Schweiz profitieren.
Weiterführende Links
Zur Vortragsreihe
Yvonne Riano hält am 5. April den ersten Vortrag der Ringvorlesung «Geschlecht und Migration». Jeweils Mittwoch 18.15, Hauptgebäude der Uni Bern, Hörsaal 215, Hochschulstrasse 4, 3012 Bern.