Extremsportler - sind sie verrückt?

Extremsportler nehmen ein hohes Risiko in Kauf. Sie stossen an ihre körperlichen Grenzen und bringen sich in gefährliche Situationen. Warum bloss?

Die Felswand ist 122 Meter hoch. Dan Oswald springt los und klettert hoch – einfach so, ungesichert, behände wie ein Affe. Die letzten Meter überwindet er mit einem Sprung nach oben, nur seine Fingerkuppen, mit denen er sich an die Wand klammert, retten ihn vor dem Fall in die Tiefe. Er braucht dazu gerade mal vier Minuten und 25 Sekunden.

Was treibt einen Menschen dazu, solches zu tun? Für einen neuen Rekord sein Leben zu riskieren? Hartmut Gabler, Professor für Sportwissenschaft an der Universität Tübingen, untersucht die Motive von Extremsportlern. Im Rahmen der «Berner Gespräche für Sportwissenschaft» sprach er darüber, was diese antreibt. «Beim Extremsport geht es um extremes Risiko und extreme Ausdauer» sagt Gabler. Hinzu kommt das Erlebnis in der Natur, oft unter extremen Bedingungen wie Hitze oder Höhe. Es geht aber auch darum, sich immer wieder zu steigern: einen noch schwierigeren Felsen zu bezwingen, eine noch grössere Distanz zu überwinden. 

Ein ungesicherter Kletterer an der Felswand
Das Leben hängt an den Fingerkuppen: Free Solo - ungesichertes Klettern. Bilder: Referat Hartmut Gabler

Abenteuer statt Langeweile

Warum sich Menschen körperlich in solche Ausnahmesituationen bringen, dazu gibt es verschieden Erklärungen, sagt Gabler. Soziologen beurteilen das extreme Sporttreiben als Versuch, Defizite in der modernen Gesellschaft zu kompensieren. Das heisst: Statt Routine und Langeweile wie wir sie im Alltag kennen, erlebt man Abenteuer. Statt Sicherheit herrscht Risiko. Und statt ein bedeutungsloses Mitglied der Gesellschaft zu sein, hebt man sich durch die extreme sportliche Betätigung ab. Wie zum Beispiel die Deutsche Astrid Benöhr, die die zehnfache Distanz eines Ironman zurückgelegt hat: 38 km Schwimmen, 1800 km Radfahren und 422 km Laufen; sie war fünf Stunden schneller als der bisherige männliche Rekordhalter. Das brachte ihr viele Schlagzeilen ein. Der Wunsch, einzigartig zu sein, erfüllt sich.

«Eins werden mit dem Ozean»

«Wichtiger als die Anerkennung ist für die meisten Extremsportler jedoch das Erlebnis und die Gefühle, die es auslöst», sagt Gabler. Neben der Leistung nennen viele von ihnen den «Flow»-Zustand als wichtiges Motiv. Dieser Zustand sei erreicht, wenn jemand in einer Sache völlig aufgehe, wenn Handlung und Bewusstsein verschmelzten. Der Deutsche Benjamin Franz, ein Apnoetaucher (Tauchen ohne Sauerstoff), schreibt auf seiner Webseite: «Tief unten ist es wunderschön. Mit jedem mal versucht man länger zu bleiben und die Glücksmomente auszudehnen. Als könnte man ganz unten seinen Körper verlassen und eins werden mit dem Ozean.» Die Sportler wollen an ihre Grenzen stossen und sich ihr Können beweisen –«Kompetenzerleben», wie es Gabler bezeichnet. 

Läufer in der Wüste
Sport bei 50 Grad im Schatten: Ein Läufer durchquert die Wüste.

Zu hohes Risiko?

Extremsport erscheint oft verrückt und unvernünftig. Die Sportler selbst sind aber überzeugt, dass sie ihren Sport beherrschen. Sie glauben, die Gefahr kontrollieren zu können. Dass dies nicht immer zutrifft, zeigt der Unfall von Benjamin Franz vor vier Jahren: Bei einem Apnoe-Tauchgang erlitt er einen Schlaganfall. Er musste wieder Gehen und Sprechen lernen und seine rechte Körperhälfte ist bis heute geschwächt. Er schreibt: «Geschockt und ernüchtert zugleich musste ich nach meinem Unfall leider erkennen, dass es keine absolute Sicherheit bei diesem risikoreichen Extremsport gibt.»

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