Fische «erinnern» sich an ihre Jugend

Buntbarsche passen ihre Jungen nicht an die aktuellen Lebensbedingungen an, sondern an jene, unter welchen sie selber gross geworden sind. Das hat Barbara Taborsky, Verhaltensökologin an der Uni Bern, herausgefunden.

Von Bettina Jakob 03. März 2006

Es ist tropisch warm, feucht, Wasser blubbert. 120 Aquarien stehen im Labor von Barbara Taborsky, in der Ethologischen Station der Uni Bern am Wohlensee. Bei angenehmen 26 Grad Celsius züchtet die Verhaltensökologin afrikanische Buntbarsche (Simochromis pleurospilus). Die kleinen, unscheinbaren Tropenfische aus dem zentralafrikanischen Taganjika-See können, wie viele Fischarten, die Grösse ihrer Eier variieren, um ihre Jungen optimal auf ihr künftiges Leben vorzubereiten. Ist genügend Futter vorhanden, legt der Barsch kleine Eier, wirds eng, werden grössere Junge produziert, damit diese den Futterplatz besser verteidigen können. Nun hat Taborsky Erstaunliches beobachtet: Die Mutterfische passen die Grösse ihrer Eier nicht an die Umwelt an, in der sie die Eier legen. Massgeblich für die Eigrösse ist vielmehr die Qualität des Lebensraumes, in welchem die Mütter selber gross geworden sind. Das bedeutet, dass die Mütter die Futterbedingungen für ihre Jungen aufgrund der Erfahrungen in der eigenen Jugend vorhersagen. Fazit: Musste eine Mutter früher hungern, wird sie grössere Eier ablaichen, auch wenn sie nun im Überfluss lebt.

Barbara Taborsky vor einem Aquarium im Labor
Bei tropischem Klima im Labor untersucht Barbara Taborsky das Verhalten der Buntbarsche. Bilder: bj

Die Logik der Vorhersage-Strategie

«Diese Hypothese wurde nun erstmals experimentell belegt», sagt die Berner Verhaltensökologin. Bisher war ein solches Verhalten in Forscherkreisen nur vermutet worden – bei Salmoniden und Schmetterlingen. Taborskys Resultate sind in «Biology Letters» und in den «Proceedings of the Royal Society» publiziert. Barbara Taborsky ist sicher, dass dieses Phänomen ein «verbreiteter Mechanismus im ganzen Tierreich ist». Auch wenn sie auf den ersten Blick unlogisch erscheint, hat diese Strategie ihren Zweck: Bei den meisten Tierarten leben Erwachsene und Junge in verschiedenen Nischen, so auch der afrikanische Simochromis pleurospilus. Je nach Alter hält er sich nämlich in unterschiedlicher Wassertiefe auf. Um ihre Jungen also gut auf ihren Lebensraum vorzubereiten, muss sich die Buntbarsch-Mutter an ihre Kinderstube «erinnern». Die mütterliche Vorhersage-Strategie hilft gemäss Taborsky den Jungfischen im Umfeld, in dem sie aufwachsen werden, möglichst gut zu überleben. Und warum weiss man so wenig über diesen Effekt? «Ganz einfach», so die Wissenschaftlerin, weil Tiere oft nicht für eine ganze Generationszeit untersucht würden. «Das ist sehr zeitintensiv, selbst bei Fischen mit einer hohen Reproduktionsrate.»

Unzählige Aquarien geschrubbt

In der Tat: Vom Ei über das erwachsene Tier zur zweiten Generation – Taborskys Experiment dauerte ganze drei Jahre und brachte viel Arbeit mit sich: Die 120 einzeln gehaltenen Fische mussten regelmässig gefüttert, die Menge genau dem individuellen Gewicht der Tiere angepasst werden. Nur so konnten vergleichbare Daten gewonnen werden. Die Hälfte der Fische bekam wenig Futter, die andere viel. Schliesslich wurde auch die Eigrösse in den verschiedenen Lebensräumen gemessen. Und die Wasserqualität musste konstant sein, so Barbara Taborsky: «Wir mussten sehr viel Zeit in die Aquarienpflege investieren.» Doch die Arbeit hat sich gelohnt: Das Nachfolgeprojekt hat sie schon eingereicht, der Schweizerische Nationalfonds (SNF) entscheidet Ende März darüber. 

Afrikanischer Buntbarsch
Simochromis pleurospilus – ein kleiner afrikanischer Buntbarsch gerät ins Rampenlicht der Forschung.

Wie misst der Fisch seine Umwelt?

Barbara Taborsky brennt darauf, weiter zu forschen. «Ein schönes Ergebnis wirft meist neue Fragen auf.» Wie kann die Fischmutter zum Beispiel ihre Kinderstube analysieren? So dass sie «weiss», wie gross sie ihre Eier produzieren muss? Die Verhaltensökologin geht davon aus, dass die Physiologie der Fische bereits in früher Jugend von ihrer Umwelt entsprechend geformt und der Stoffwechsel geprägt wird. Vielleicht sei es ein Prozess, ähnlich der metabolischen Prägung, wie es von Säugetieren und Menschen bekannt sei. «Aber spekulieren will ich nicht», meint Taborsky. Sondern forschen – auch wenn es wieder lange dauert.