Heisse Diskussionen nach dem heissen Herbst

Der diesjährige Herbst war fast ein Sommer – doch schon in früheren Zeiten gab es Wetterkapriolen. Umwelthistoriker Christian Pfister von der Uni Bern lädt zu einem öffentlichen Vortrag über den Klimawandel.

Interview: Bettina Jakob 19. Dezember 2006

Herr Pfister, dieser November war sehr mild. Doch schon 1540 liess eine Hitzeperiode die Flüsse vertrocknen und um 1680 war in Paris der Herbst zu warm. Gibt es nun den Klimawandel oder nicht?
Christian Pfister: Es gibt ihn. Über die Tatsache eines von Treibhausgasen verursachten weltweiten Temperaturanstiegs ist sich die Wissenschaft mittlerweile einig.

Aber in Ihren umwelthistorischen Studien relativieren sie heutige Extremereignisse, da ähnliche schon vor Jahrhunderten auftraten. Gleichzeitig rufen Sie jetzt in den Medien zum Handeln auf. Erklären Sie diesen Widerspruch.
Ende der 90er Jahre habe ich nachgewiesen, dass sich das damalige Niveau der Wintertemperaturen in Mitteleuropa noch in der Bandbreite des natürlichen Klimas bewegten. Gemeint waren damals die Mittelwerte von 1961 bis 1990! Seit 1988 hat die Temperatur jedoch die Bandbreite der letzten 1000 Jahre verlassen. 

Christian Pfister
Sommerhemd mitten im Winter: Christian Pfister spricht über das Ausmass des Klimawandels. Bild: Zvg

Also kein Grund mehr zum Relativismus, sondern zum raschen Handeln?
Jawohl. Die Zeit ist knapp.

Gibt es heute noch Extremereignisse, die sogenannt natürlichen Klimaschwankungen unterliegen?
Eine solche Einteilung ist nicht haltbar. Global ist der verstärkte Treibhauseffekt seit 1975, in Mitteleuropa seit 1988, gegenüber den natürlichen Einflüssen wie der sich verändernden Sonnenaktivität und des Vulkanismus dominant geworden. Die Häufigkeit von Stürmen und Hochwasser ist heute möglicherweise durch den Treibhauseffekt mitbedingt – wobei sich das noch nicht schlüssig belegen lässt.

Welche Wetterkapriolen sind denn eindeutig durch den Menschen verursacht?
Das sind die warmen Extreme der monatlichen Mitteltemperatur: Diese waren von 1991 bis 2000 mehr als doppelt so häufig wie im wärmsten Jahrzehnt zwischen 1501 und 1990. Der Sommer 2003 war europaweit der heisseste seit dem Jahr 1500. Der Juli 2006 hat alle Rekorde seit Beginn der Temperaturmessungen geschlagen. Der Herbst 2006 ist je nach Datengrundlage der wärmste seit 300 bis 1300 Jahren.

Wirkt sich der Treibhauseffekt unwiderruflich auf das globale Klima aus – oder durchlaufen wir vielleicht eine lange Warmperiode auf einer noch längeren Zeitachse?
Die atmosphärische Konzentration an Treibhausgasen ist heute höher als in den letzten 650'000 Jahren. In den nächsten hundert Jahren ist laut übereinstimmenden Ergebnissen vieler Modellstudien mit einer globalen Erwärmung von 2 bis 3,5 Grad zu rechnen. Das ist zweieinhalb bis viermal mehr als zwischen 1850 und 2000…

…und diese Erwärmung bleibt?
Ja. Auch der Schweiz wird eingeheizt: Zerfallende Gletscher, bankrotte Skistationen, Überschwemmungen. Global erleben wir den Anfang einer Völkerwanderung, denn im Süden kämpfen schon jetzt Hunderte von Millionen Menschen ums Überleben, umso mehr noch wenn sich plötzlich ganze Klimazonen verschieben.

Sie halten einen Vortrag, in dem Sie die «Klimageschichte und ihre politische Brisanz» (s. Kasten) erörtern, denn die historische Klimageschichte sei kein «wissenschaftliches Mauerblümchen» mehr. Welches ist Ihre Botschaft an die Klimapolitikerinnen und -politiker?
Für die Sache ist wenig gewonnen, wenn man Klima-Wissenschafter zu diskreditieren versucht. Das Klimaproblem ist das schwierigste Problem, das die Politik jemals zu lösen hatte. Falls Massnahmen ergriffen werden, wird es Gewinner und Verlierer geben. Falls jedoch keine Massnahmen ergriffen werden, wird es nur Verlierer geben. Darin liegt die Tragik der heutigen Situation.

Sie werden oft als «Klimaprophet» angegangen. Können Sie aufgrund der Jahrhunderte langen Klimageschichte eine Prognose machen?
Historiker sind die einzigen, die sich um das Schicksal vergangener Prognosen kümmern und halten sich in dieser Beziehung deshalb zurück. Die Historische Klimaforschung ist heute klimapolitisch insoweit von Bedeutung, als sie verharmlosende Behauptungen über die Klimagegenwart im Verhältnis zur jüngeren Klimavergangenheit überzeugend zu entkräften vermag.

Dennoch – wagen Sie es: Wie sieht das Klima auf der Welt in 50 Jahren aus?
Schauen Sie sich Al Gore’s Film «An Inconvenient Truth» an. 

Öffentlicher Vortrag

Am Donnerstag, 21. Dezember, hält Prof. Dr. Christian Pfister einen Vortrag mit dem Titel «Klima-Geschichte: Ansätze, Forschungsergebnisse, (klima-) politische Brisanz». Die Veranstaltung ist öffentlich und findet von 12.15 bis 13 Uhr in der UniS im Hörsaal A003 statt.