Endstation eines Blumenkindes
Die meisten kamen zurück, doch einige sind geblieben: Der Film «Hippie Masala» porträtiert westliche Aussteiger, die seit den 1970er Jahren in Indien leben. Co-Autorin des Spielfilms ist Damaris Lüthi, Sozialanthropologin an der Uni Bern.
Als hätte er alle Zeit der Welt. Cesare watet ins Wasser, so langsam wie der Fluss durch das Tal zieht, dunkel und zäh. Um die Hüfte hat der Mann einen orangen Sarong geknotet, am Oberkörper zeichnen sich die Rippen ab. Die grauen Haare bilden einen wirren Rasta-Turm, ragen zum Himmel wie der Turban eines Inders. Cesare, der Italiener, der tatsächlich fast zum Inder geworden ist. Als junger Rebell floh er in den 1970er Jahren wegen Drogendelikten aus seiner Heimat nach Indien, so wie Millionen von anderen Hippies, alle auf der Suche nach Erleuchtung und abgefahrenen LSD-Trips. Die meisten Pilger der Flower-Power-Generation wurden irgendwann zahm und kehrten zurück in den Westen.
24 Stunden Meditation – das ist das Leben des Italieners Cesare. (Bilder:zvg)
Einige aber sind geblieben. Mit ihnen Cesare, der europäische Yogi in einer Höhle in den zentralindischen Hügeln. Ist er 50 oder 60 Jahre oder tausend Jahre alt? Sein Lachen ist fast zahnlos. Entspannt, oder entrückt? Tagaus tagein stopft Cesare im Kreise der Asketen die Marihuana-Pfeife. «Für die meditative Versenkung», nickt er, ja, indische Yogis dürfen ein ganzes Kilo Haschisch auf sich tragen, fast der einzige Besitz Cesares, neben ein paar Shiva-Figürchen und einer Kaffee-Kanne. «Es ist so, als hätte ich meine Persönlichkeit verloren», sagt der Spirituelle lächelnd und murmelt ein Mantra. Cesare ist eine der Hauptpersonen im Spielfilm von Ueli Grossenbacher und Damaris Lüthi. Die Sozialanthropologin der Uni Bern und ihr Partner rücken Personen ins Bild, die heute in einer vergangenen Zeit leben. Im Herbst kommt «Hippie Masala» in die Schweizer Kinos; an den «Solothurner Filmtagen» hat er die Kritiker begeistert.
Der Emmentaler und die Belgierin
Hängen geblieben ist auch Hanspeter. Der Truber Bueb ist heute 52-jährig, aber trotz 30 Jahren Indien hört man ihm seine emmentalischen Wurzeln an. Er schimpft in brachialem Berndeutsch, mal mit seinen Gänsen und Kühen, manchmal auch mit seiner indischen Frau. Hampi kam Mitte der 70er Jahre nach Indien, «weil ich hier machen kann, was ich will», weit weg von seinem autoritären Vater und viel näher bei allerlei halluzinogenen Stoffen. Meera aus Belgien strebt seit 18 Jahren nach spiritueller Befreiung, lebt als Asketin, ohne Elektrizität, dafür mit Hund in einem Lehm-Häuschen. «Ich habe nichts zu verlieren», sagt sie: «Keine Familie, kein Geld, kein Land. Wenn Gott diese Lebensweise nicht will, wird er sie beenden.»
Der dickköpfige Hampi lebt mit seiner indischen Ehefrau – und vielen Tieren – in den Bergen.
2 Reisen, 92 Minuten Film
Die Blumenkinder von damals sind in die Jahre gekommen. Filmer Ueli Grossenbacher und die Ethnologin Damaris Lüthi verstehen sich als Spurensicherer des Aussteigertums der 68er Generation. 100 Stunden Filmmaterial haben die beiden auf zwei Indien-Reisen gesammelt, daraus entstanden sind sechs sehr persönliche Porträts von insgesamt 92 Minuten Länge. Lüthi betont, «Hippie Masala» sei kein wissenschaftlicher sondern ein Dokumentarfilm: Die Personen erhalten viel Raum, sich selber darzustellen, unkommentiert ihr Leben zu erzählen und von den (un)erfüllten Träumen, von den Sorgen, die für einen Europäer im Hippie-Paradies Indien auftauchen: Hampi nervt sich, dass das Jagen in den Bergen immer noch verboten ist. Dem 57-jährigen Kunstmaler Robert aus Holland stirbt ein Freund nach dem anderen, und die Dorfbewohner mögen gar nicht mit Meera, der Einsiedlerin, sprechen.
Kaum integriert
«Die Hippies sind nicht sehr gut in die indische Gesellschaft integriert», sagt Ethnologin Lüthi, die Indien kennt wie ihre Hosentasche; sie hat hier Feldstudien für ihre Dissertation durchgeführt. Das komplizierte Kastensystem des Hinduismus stelle ein fast unüberwindbares Hindernis dar. Alle westlichen Touristen gelten pauschal als übelriechende, morallose Menschen, die sich in mittleren bis unteren Kasten ansiedelten, erklärt die Sozialanthropologin. Die Aussteiger pflegten vielmehr Kontakt unter ihresgleichen als mit den Einheimischen: In Manali treffen sich jeden Sonntag die Freaks zum unspektakulären Boule-Spiel. Fast wie es die Berner auf der Münsterplattform tun.
Die Idylle ist auch ein Egotrip
Sind die sechs alten Hippies glücklich geworden, im fernen Indien? «Irgendwie schon», meint Damaris Lüthi. Im Westen waren sie Aussenseiter, Drogendelinquente, und in Indien werden sie deswegen nicht von Gesetzeshütern verfolgt. Das Klischee von der unendlichen Freiheit scheint aufzugehen…für die Westler, jedenfalls. Filmer Ueli Grossenbacher steht dem Aussteigertum in den Hippie-Hochburgen wie Goa, Manali und Hampi auch kritisch gegenüber: «Ein Ego-Trip und Profiteurentum, die nur möglich sind, wenn man harte Währung in einem armen Land besitzt.» So baut sich Hanspeter mit einem geschenkten Batzen seines Vaters ein grosses Haus, Robert wohnt mit Kind und Kegel, und junger Frau idyllisch auf dem Hügel und malt Bilder. Auch Meera hat dank einem kleinen Erbe ein neues, wenn auch nur kleines Dach über dem Kopf, ein Ein-Frau-Häuschen; vorher hatte sie 15 Jahre unter einem Felsvorsprung gelebt.
Asketin Meera lässt sich den Fluss hinauf rudern.
Nur Abstecher nach Europa
Hanspeter hat seinen Vater nie mehr gesehen, seit er nach Indien abgereist ist. Wenn er ab und zu in die Schweiz zurückkehrt, geht er am liebsten «schaufensterlen». Meera war erst vor kurzem zum ersten Mal in Belgien. Sie arbeitete als Aktmodell, um ihre Pass-Schulden zu begleichen. Und Cesare ging nur nach Italien zurück, um seinen Vater zu bestatten. Er traf erstmals seine beiden erwachsenen Töchter, die gerade drei Jahre alt waren, als er sich damals nach Indien absetzte. Jetzt sitzt er wieder im Ashram und singt «Om Shiva».