E-Mailen mit einer Schriftstellerin
Ihr Debüt «Sommerhaus, später» war einer der grössten literarischen Erfolge der letzten zehn Jahre. An der Uni Bern liest sie aus ihrem zweiten Buch «Nichts als Gespenster». 11 Fragen an die Berliner Autorin Judith Hermann.
Frau Hermann, wo stecken Sie gerade?
Judith Hermann: In einem Internetcafé.
Wir vermissen Ihre dichten Kurzgeschichten über das Leben, das manchmal fliesst, oft aber zäh ist oder stockt. Schreiben Sie fleissig?
Sie sind sehr freundlich, danke. Ich versuche, fleissig zu schreiben. Manchmal geht es ganz gut, manchmal weniger. Zur Zeit – gut.
Ihre Figuren sind oft Menschen, die mit Sehnsucht auf irgendetwas warten, vielleicht auf die Liebe, die sie dann doch nicht aushalten. Menschen, die nicht immer bekommen, was sie wollen und vielleicht auch nicht wirklich darum kämpfen. Wie entstehen diese Erzählungen?
Aus einem ganz kleinen Augenblick. Meist aus einem Satz, den jemand zu jemand anderem sagt, und der so schön und vieldeutig klingt, dass ich denke, ich hätte ihn gerne in einer Geschichte. Also versuche ich eine Person zu finden, die den Satz sagt. Und eine andere, die ihn hört. So ungefähr.
Sie ist den leisen Tönen des Lebens auf der Spur: Judith Hermann (Bild:zvg)
Die Menschen in Ihren Texten erfahren kaum richtiges Glück – und Sie, sind Sie glücklich?
Nein, ich bin nicht glücklich. Gerade nicht. Ihre Frage ist nicht zu beantworten für mich. Das Glück macht aus, dass es kurz ist. Ich habe meinen Sohn gerade zu Bett gebracht und ihm eine Geschichte vorgelesen. Er hat währenddessen mit den Händen so kleine Schattenbilder an die Wand geworfen. Wir waren beide unkonzentriert, zusammen und glücklich. Jetzt schläft er. Und ich sitze in diesem Café, es gibt kaum Orte, die so trostlos – und trotzdem gut – sind, wie diese Internetcafés.
Schriftstellerin, das wollen viele sein. Welche Eigenschaften braucht es, um tatsächlich den eigenen Namen auf der Bestsellerliste zu finden?
Das weiss ich nicht. Glück vielleicht?
Wann schreiben Sie? Nachts, tagsüber, wann immer – auf dem Computer, oder in Handschrift?
Morgens. Vormittags. Immer auf dem Computer.
Und was steht zuerst auf der Seite? Das Datum?
Der Titel.
Haben die Geschichten von Anfang an definierte Enden, oder ändern Sie diese manchmal beim Schreiben?
Kein definiertes Ende. Ich weiss, wie ich zum oben beschriebenen Satz komme und weiter weiss ich nichts, im glücklichsten Fall nimmt die Geschichte mich bei der Hand und führt sich selbst zu einem Ende, von dem ich am Anfang nichts wusste.
Haben Sie eine Lieblingsgeschichte?
Nein.
Bald lesen Sie in Bern. Haben sie Erwartungen an ein Publikum?
Nein. Ich freue mich auf das Publikum. Ich freue mich – ohne Koketterie – darüber, dass ich vorlesen kann, und dass man mir zuhören möchte. Ich mag es, wenn es ein Gespräch gibt im Anschluss. Das Gespräch mag ich lieber als das Lesen.
Wie war die Newcomerin Judith Hermann, wie ist sie heute – und wo steht sie in zehn Jahren?
Himmel – ich weiss es nicht. Ich bin zehn Jahre älter als zu den Zeiten, in denen «Sommerhaus, später» ein Erfolg wurde. Ich bin stiller, ernster, erwachsener, heiterer, trauriger und habe, heute, wie damals, wie wahrscheinlich in zehn Jahren, das Gefühl, ich wüsste, bei allem, was schwer ist, ein wenig etwas über mich. Und in zehn Jahren werde ich denken, dass ich mich da getäuscht habe. Heute versuche ich, mein drittes Buch zu Ende zu schreiben. Ich hoffe, dass ich in zehn Jahren vielleicht gerade versuche, das fünfte Buch zu schreiben. Aber möglicherweise bin in ich dann auch vom Schreiben sehr weit entfernt. Soll ich mir das wünschen? Vielleicht. Manchmal. Aber eigentlich wäre es schön, könnte ich weiter schreiben.