Macht Nachtarbeit einsam?
Wer unregelmässig arbeitet, verliert seine Freunde – denkt man. Doch eine Studie des Forschungsinstituts für Freizeit und Tourismus der Uni Bern zeigt, dass Schichtarbeitende ein reges Sozialleben haben, aber mehr dafür tun müssen.
Am liebsten alles rund um die Uhr – Einkaufsmöglichkeiten, offene Restaurants und Freizeitangebote. Ausgebaute Dienstleistungen bringen mehr Möglichkeiten, aber auch unregelmässige Arbeitszeiten. Ursula Wyss vom Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus an der Uni Bern untersuchte in ihrer Dissertation, wie sich Schichtarbeit auf die sozialen Kontakte und das Freizeitverhalten der betroffenen Arbeitnehmerinnen und -nehmer auswirkt. Die SP-Nationalrätin und Ökonomin fand heraus: Schichtarbeitende sind trotz ihrer unregelmässigen Arbeitszeiten sozial nicht isoliert. Die negativen Folgen der Schichtarbeit könnten grundsätzlich «durch individuelle Anpassung kompensiert werden», schreibt Wyss. Dies bedürfe einer entsprechenden Koordination und natürlich «guter sozialer Rahmenbedingungen, die der Arbeitgeber schafft». Ihre Studie basiert auf den Daten von 684 SBB-Angestellten.
Frauen doppelt belastet
Einer von zehn Berufstätigen in der Schweiz arbeitet dann, wenn andere frei haben, am Wochenende, am Abend oder gar nachts. Vor allem weniger qualifizierte Berufsleute sind von unregelmässigen Arbeitszeiten betroffen, wie Wyss sagt. Die Schichtarbeitenden der SBB verbringen gemäss Studie mehr Freizeit ausser Haus als die Nicht-Schichtler, was die Ökonomin «als kompensatorische Anstrengungen» wertet. Die Schichtarbeiterinnen und -arbeiter haben täglich rund eine Viertelstunde mehr Freizeit aufgrund kürzerer Arbeitszeit. Doch Frauen können dieses Plus weniger nutzen als ihre männlichen Kollegen: Nach der Schicht leisten sie genauso viel unaufschiebbare Hausarbeit wie an normalen Tagen. Bei Männern jedoch reduziert sich die unbezahlte, häusliche Arbeit am Tag nach der Schicht um einen Drittel. Sind Kleinkinder im Spiel, wird es dramatischer: Die Schichtarbeiterinnen werden doppelt belastet, sie «sparen» die Zeit bei ihrer eigenen Freizeit und beim Schlaf ein.
Kleinerer Freundeskreis im Alter
Interessant sind die Wohnverhältnisse der befragten Personen: 19 Prozent der Schichtarbeiter leben in Einpersonenhaushalten, bei den andern sind es 14 Prozent. Leben Schichtarbeitende mit jemandem zusammen, dann oft – zu 31 Prozent – mit einer Person, die selber auch Schicht arbeitet. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, das Schichtarbeitende in einem Mehrpersonenhaushalt mit Kindern zusammen leben, nicht kleiner als bei Berufstätigen mit normaler Arbeitszeit.
Schichtarbeitende mit Familie verbringen aber markant weniger Zeit mit Freunden und Bekannten als Nicht-Schichtarbeitende. «Mit zunehmenden Alter schrumpft der Freundeskreis noch mehr», so Ursula Wyss. Die Ökonomin ist aber sicher, dass die negativen Auswirkungen der Schichtarbeit bei anderen Arbeitgebern schwerwiegender ausfallen als bei den SBB. Die Bahn bemühe sich, das Sozialleben der unregelmässig Arbeitenden zu verbessern: «Die SBB haben eigene Vereine gegründet, stellen langfristige Arbeitspläne auf und lassen die Zeiten von Schicht arbeitenden Partnern aufeinander abstimmen.»
Weiterführende Informationen
Das Buch «Arbeitsformen und Freizeitverhalten» von Dr. Ursula Wyss erscheint in der Schriftenreihe «Berner Studien zu Freizeit und Tourismus». Zum Preis von 48 Franken (exkl. Porto) zu bestellen unter E-Mail: fif@fif.unibe.ch