Meeresschildkröten auf Tauchstation

Die Meeresschildkröten auf Griechenland produzieren wahrscheinlich immer mehr Weibchen. Eine Biologin der Uni Bern befürchtet, dass dadurch in Zukunft die Population gefährdet sein könnte.

Von Bettina Jakob 13. Juni 2006

So ist Wissenschaft idyllisch: Sechs Monate im Jahr auf der griechischen Insel Zakynthos im weissen Sand forschen, die Füsse so oft ins türkis-blaue Wasser stecken wie einem beliebt und dazu süsse kleine Meeresschildkröten herumtragen. Die Berner Biologin Judith Zbinden zieht die Augenbrauen hoch. Ganz so traumhaft wars doch nicht… Schlafen im Zelt, nachts immer auf den Beinen, die Schildkröten bei der Eiablage an sechs verschiedenen Stränden beobachten, Eier zählen, am Morgen die Spuren protokollieren, unter der brennenden Sonne Sandtemperaturen ablesen, Touristen ertragen. «Das ist anstrengend und hat kaum etwas mit Urlaub zu tun», sagt Judith Zbinden, die an der Abteilung Conservation Biology jetzt ihre Disseration über den Schutz der unechten Karettschildkröte (Caretta caretta) im Mittelmeer abgibt. 

Meeresschildkröte
Mit dem Sender auf dem Rücken kann die Meeresschildkröte überall lokalisiert werden – zur Erfoschung ihrer Lebenseigenschaften. Bild: R.Toon

Wahrscheinlich immer mehr Weibchen

Die Knochenarbeit auf der Ferieninsel hat sich gelohnt: Die Forscherin hat herausgefunden, dass die Schildkröten auf Zakynthos in ihren rund 1300 Nestern wahrscheinlich immer mehr Weibchen produzieren. «Das kann für die grösste Population der Karettschildkröte im Mittelmeer fatal werden», so Zbinden, wenn in Zukunft nämlich die Männchen so rar werden, dass nicht mehr alle Eier befruchtet werden können. Doch warum schlüpfen aus den an den griechischen Stränden vergrabenen Eiern immer mehr Weibchen? Judith Zbinden erklärt: Bei Meeresschildkröten wird das Geschlecht nicht genetisch bestimmt, sondern durch die Inkubationstemperatur, die im Nest herrscht. «Je wärmer es ist, desto je mehr Weibchen schlüpfen», sagt Zbinden. Die Biologin hat festgestellt, dass ausgerechnet an einem vor dem Tourismus gut geschützten Strand jeweils 90 Prozent Weibchen heranwachsen.

Nur 1 von 1000 Tieren überlebt

An zwei anderen Stränden bringen die Nester fast nur Männchen hervor. Aber: «Einer ist leider halb zerstört», sagt Judith Zbinden. Und die Jungtiere vom zweiten Strand gelangen nur über einen Umweg zum Meer, da sie vom Licht umliegender Tourismus-Zentren in die falsche Richtung gelenkt werden. Der fünfmal längere Umweg zum Wasser wird für viele der nur fünf Zentimeter grossen Jungtiere zum Verhängnis: Sie erreichen bereits mit einem Energiedefizit das Wasser, wo das Paddlen ja erst richtig beginnt. Und alleine die natürliche Sterblichkeitsrate von fitten Jungtieren ist enorm hoch: Nur 1 von 1000 Jungtieren erreicht überhaupt das Adult-Stadium. Das Fazit: Mit grosser Wahrscheinlichkeit überleben auf Zakynthos mehr weibliche Schlüpflinge als männliche.

Ein weiterer Faktor fördert die Weibchen-Quote zusätzlich – die Klimaerwärmung. Gemäss Zbinden können sich die Meeresschildkröten nicht umgehend an sich verändernde Umweltbedingungen anpassen und zum Beispiel einen alternativen Nestplatz suchen. Die Tiere unterliegen einer starken Prägung, die sie für die Eiablage immer wieder an ihren eigenen Geburtsort zurückkehren lässt. Die Tiere werden wahrscheinlich von lokalen Magnetfeldern angezogen.

Ausschnitt Landkarte Mittelmeer mit Punkten, die den Weg der Karettschildkröte durchs Mittelmeer aufzeigen
Die farbigen Punkte markieren die lange Reise einer Unechten Karettschildkröte durchs Mittelmeer. Grafik: Zvg

Fischerei bedeutet Gefahr

Doch nicht nur Nistplätze und Junge müssen geschützt werden. Judith Zbinden mahnt, dass die unechte Karettschildkröte erst nach 30 Jahren fortpflanzungsfähig wird und fordert deshalb besonderen Schutz der adulten Tiere. Mit Satellitensender hat die Berner Biologin Individuen aus Zakynthos verfolgt, um Winterquartiere und bevorzugte Strecken durchs Mittelmeer zu lokalisieren. Besonders beliebter Aufenthaltsort scheint die Küste vor Tunesien, aber auch die Nord- und Südadria zu sein. Zbinden hofft, dass irgendwann die frequentiertesten Gebiete vor der Fischerei geschützt werden. «Es sterben tausende von Meeresschildkröten an Angeln, die für die Schwertfisch- oder die Thunfischfischerei eingesetzt werden», so die Populationsbiologien. Auch in die Schleppnetze geraten viele Adulttiere, weil sie in Küstennähe ihre Nahrung suchen.

Unechte Karettschildkröte

Die Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta) ist etwa 110 cm lang und erreicht ein Gewicht von 150 kg. Die Grundfärbung des Tieres ist rotbraun, erwachsene Tiere bekommen einen gelbbraunen Bauchpanzer. Diese Schildkrötenart ist in allen tropischen und subtropischen Meeren zu finden, einschliesslich des Mittelmeeres. Heute ist die Unechte Karettschildkröte vom Aussterben bedroht und die meisten Länder stellen sie unter Schutz. Derzeit geht die Hauptgefahr für die Tiere durch Langleinen- und Schleppnetzfischerei aus. International bemühen sich Tierschützer und Organisationen um das Überleben der Art, unter anderem durch Zusammenarbeit mit den Fischern und durch die Bewachung von Eiablagestränden. Das Projekt wurde finanziell hauptsächlich von der MAVA-Stiftung getragen, beteiligt haben sich auch die Stiftung Karl-Mayer und die Ocean Science and Research Foundation.