Neuer Knorpel aus dem Reagenzglas

Ist ein Knorpel im Gelenk einmal zerstört, bleibt er es. Nun haben Berner und Basler Forschende ein neues Implantat aus körpereigenem Gewebe entwickelt. Die Resultate sind vielversprechend – Arthrose-Kranke müssen sich aber weiter gedulden.

Von Bettina Jakob 14. März 2006

Skiunfall, gequetschtes Knie, der Knorpel im Gelenk ist zerstört. Bisher hatte dieser junge Mann eine schlechte Diagnose. Da ein Knorpel ein schlecht ernährtes Gewebe ist, reicht sein Stoffwechsel nicht aus, um sich selber zu regenerieren. Jetzt gibt es aber Hoffnung: Forschergruppen um Pierre Mainil-Varlet von der Uni Bern und Ivan Martin von der Uni Basel haben im Nationalen Forschungsprogramm «Implantate und Transplantate» ein neues Implantat entwickelt. Die Wissenschaftler lassen knorpelbildende Zellen, so genannte Chrondrozyten, auf einem neu entwickelten Eiweissgerüst zu einem vielschichtigen Knorpelgewebe wachsen. Dieses Transplantat wird dann mit einem verträglichen Kleber an die defekte Stelle im Gelenk eingepasst. In bisherigen Methoden versuchten Mediziner Knorpelgewebe biotechnologisch zu vermehren und in die erkrankten Gelenke zu «pflanzen» – mit dem mässigen Erfolg von 10 bis 20 Prozent, wie der Schweizerische Nationalfonds (SNF) mitteilt.

Forscher hält Zellkulturflasche in den Händen
Knorpelzellen in der Zellkulturflasche und unter dem Mikroskop (im Hintergrund). Bild: Stefan Süess, SNF

Neue Methode hilft bei jungen Menschen

Das neue Knorpelimplantat aus dem Labor ist belastbar, wie Tierversuche bei Kaninchen, Schafen und Ziegen bestätigen. Auch beim Menschen kann es das sein – wenn man sich an gewisse Einschränkungen hält: Die Qualität des im Labor gezüchteten Knorpels hängt vom Alter und dem Gesundheitszustand der Spenderinnen und Spendern der Ausgangszellen ab. «Damit echte Heilungschancen bestehen, dürfen diese nicht jünger als 16 und nicht älter als 45 Jahre alt sein», nimmt Pathologe Pierre Mainil-Varlet in der Medienmitteilung Stellung. Ausserdem sollte bei ihnen noch keine Arthrose ausgebrochen sein; dies lässt sich über eine Kollagenuntersuchung im Blut feststellen. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann in 80 Prozent der Fälle ein neuer tragfähiger Knorpel entstehen. Gerade bei jüngeren Erwachsenen mit einer unfallbedingten Knorpelverletzung – wie der junge Skifahrer sie hat – kann die Gewebeverpflanzung erfolgreich sein.

Bei älteren oder bereits unter Arthrose leidenden Patientinnen und Patienten sieht es schlechter aus: Die Therapie ist gemäss Medienmitteilung nur in jedem fünften Fall erfolgreich. Das haben die Berner und Basler Forschenden in ihrer Datenanalyse herausgefunden.

Technik jetzt weiter optimieren

Für Arthrose-Kranke heisst es also: Weiter Geduld haben. Das Verfahren soll vorerst nur bei Personen angewandt werden, bei denen «echte Heilungschancen» bestehen, empfiehlt Pierre Mainil-Varlet. Die Technik soll als nächstes in einer klinischen Studie weiter optimiert werden. «Aber die Erkenntnisse kommen auch denjenigen Patienten zugute, die im Moment noch nicht davon profitieren können», so der Berner Forscher. Sind die Erfolgsaussichten besser, würden schliesslich auch die Krankenkassen diese Therapie eher in ihren Leistungskatalog aufnehmen.

Weiterführende Informationen

Arthrose

Schmerzen und Schwellungen im Gelenk sind die Vorboten einer Arthrose. Die Ursache ist geschädigtes Knorpelgewebe, das abgerieben wird. Normale Reparaturmechanismen des Organismus greifen nicht, denn Knorpel sind weder von Blutgefässen noch Nervenfasern durchzogen. Bei grösseren Schädigungen gelingt dem Körper oft nicht mehr als ein Auffüllen des Defektes mit weniger elastischem Narbengewebe. Zur Stützung des kranken Gelenks bildet der Knochen Ausläufer, so genannte Osteophyten. Dadurch kommt es zu knotigen Verdickungen und Versteifungen der Gelenke. Doch der Knorpelabbau setzt sich fort bis der Knochen erreicht ist: Der Patient leidet unter akuter Osteoarthrose.

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