Jogging mit des Professors Stimme im Ohr

«Podcast» – diesen Begriff sollten sich Studierende merken. Diese Technologie bringt einem nämlich die Vorlesung aus dem Hörsaal in die warme Stube oder ins Lauftraining. An der Uni Bern läuft ein Pilotversuch.

Von Bettina Jakob 08. Dezember 2006

Nicht jeder mit weissen iPod-Stöpseln im Ohr hört Hiphop oder Rockmusik. Vielleicht lauscht der Sitznachbar im Bus ganz ernsthaft einer Vorlesung über Römisches Recht. Vielleicht taucht der eilige Passant nicht in eine Oper Verdis, sondern in sein Repetitorium über Gelenkserkrankungen. Das sogenannte «Podcasting» ermöglicht es Studierenden, ihre Vorlesungen eins zu eins zu verfolgen, ohne tatsächlich im Hörsaal zu sitzen. Was in den USA längst Alltag ist, wird nun an der Uni Bern getestet. Bis im kommenden Sommersemester führen die Informatikdienste unter der Leitung von Birgit Zeiter Minnig einen Pilotversuch durch: Aufgezeichnete Vorlesungen können via Internet auf den Computer und schliesslich weiter auf den iPod geladen werden.


Ein Medizinstudent hört sich Herztöne an und vergleicht dazu eine Grafik auf seinem iPod-Display. (Bild:zvg)

Projektmitarbeiter Peter Frey vom Institut für Medizinische Lehre ist sicher, dass das Angebot auf Interesse stossen wird: «Podcasting erlaubt ein zeit- und ortsunabhängiges Lernen.» Die Studierenden haben die Chance, eine Vorlesung mit komplexem Stoff nochmals zu hören, keine synchron stattfindenden Veranstaltungen mehr zu verpassen und Blinde erfahren eine ungemeine Erleichterung in ihrem Uni-Alltag. Aber die neue Technologie kann gemäss Frey einen noch viel grösseren Einfluss auf das universitäre Leben nehmen: Sie könnte zur Schulung von Uni-Mitarbeitenden eingesetzt werden, mit der digitalen Rede des Rektors gar als Führungsinstrument dienen oder als politisches Sprachrohr für Uni-Organisationen wie die SUB oder die Mittelbauvereinung.

Bestechend einfache Technologie

So vielversprechend «Podcasting» ist, so einfach funktioniert es: Ein Aufzeichungsgerät, beispielsweise ein Minidisc-Gerät oder eine Videokamera, zeichnet den Lehrvortrag im Hörsaal auf. Die Daten werden auf den Server geladen, wo eine spezifische Software die Mediendateien ordnet. Internetnutzende können auf diese zugreifen, sie einsehen und abspeichern. Die Podcast-Software macht es sogar möglich, dass die Nutzer individuelle, kostenlose Abos lösen können und sofort beliefert werden, sobald in ihrer gewünschten Sparte neue Dateien – eben zum Beispiel die neue Vorlesung in Experimentalphysik – eingespeist sind. Die Beiträge können reine Audio-Files sein, oder aber in einer erweiteten Form visuelle Elemente abspielen, etwa eine Powerpoint-Präsentation oder Filmaufnahmen.

Erfolg mit Medizin-Podcasts

An der Medizinischen Fakultät der Uni Bern wurden in diesem Jahr bereits Lehrfilme über das Internet als Podcasts angeboten; interessierte Ärzte und Studierende konnten diese beziehen. Ein Erfolg, so Peter Frey: «Viele Filme wurden bereits rund 1600 Mal heruntergeladen – obwohl pro Jahr nur 150 Medizinstudierende eingeschrieben sind.» Das heisst: Die Podcasts werden auch von anderen Personen genutzt. «Wir bekommen viele Dankmails aus Deutschland», so Frey. Wie flächendeckend schliesslich das Podcasting an der Uni Bern eingesetzt werden könnte, ist unklar: «Die Dozierenden müssten geschult, technische Apparaturen angeschafft und die Vorlesungen aufgezeichnet werden», so Frey. Allesamt Parameter, die «noch nicht abschätzbare» Kosten verursachen würden. Nach dem Pilotversuch werden die Informatikdienste der Unileitung einen Erfahrungsbericht zustellen. «Diese wird dann entscheiden ob daraus ein grösseres Projekt entstehen wird», so Birgit Zeiter Minnig.

Nur noch eine virtuelle Uni?

Ersetzt das Podcasting vielleicht bald die Vorlesung? «Nein», vermutet Peter Frey. Seine Antwort basiert auf einer Studie der Uni Zürich, wo im Rahmen des «Swiss Virtual Campus» der ganze Lehrgang für «eCorporate Finance» als Podcast aufgezeichnet worden war: Von 212 Befragten des Kurses haben sich 44 Prozent mehr als die Hälfte der bereitgestellten Vorträge nochmals zu Gemüte geführt, 85 Prozent mindestens einen. Lediglich 12 Prozent der Studierenden verzichteten tatsächlich auf den Gang in den Hörsaal. «Grundsätzlich scheinen Podcasts vor allem zur Vertiefung des Lehrstoffs zu dienen.»

Das ist «Podcasting»

Der Begriff «Podcast» setzt sich aus den Wörtern «iPod» und der englischen Bezeichnung für Rundfunk, «Broadcast», zusammen. Mit der Technologie können digitale Informationen als Audio- oder Videodaten via Internet auf den persönlichen Computer und den iPod gespeichert werden. Die Wiedergabe erfolgt im MP3- oder MP4-Format. 

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