Schweizer Recht gilt sogar in der Türkei
Das Schweizer Zivilgesetz regelt nicht nur hierzulande das Zusammenleben: Vor 80 Jahren hat die Türkei diese Gesetzesordnung übernommen. Die Rechtswissenschaftler der Uni Bern feiern dies an einer Tagung.
Das ZGB. Die meisten Schweizerinnen und Schweizer kennen diese Abkürzung: Sie steht für das Schweizer Zivilgesetzbuch, welches seit fast 100 Jahren die Familienangelegenheiten regelt und Erbstreite klärt. Was jedoch praktisch niemand weiss: Diese Paragraphen gelten nicht nur in unserem Land. «Die Türkei hat unser Zivilgesetz übernommen», sagt Roland von Büren, Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern. Gazi Mustafa Kemal Atatürk, der «Vater der Türken», hat bei der Umwälzung des türkischen Staates 1926 das Schweizer Zivilgesetz eingeführt. Diese Verbindung auf juristischer Ebene besteht immer noch, und die Juristen feiern dies anlässlich einer Tagung – sowohl in Bern wie in Ankara. Während in Bern heute Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz die Veranstaltung eröffnet, reist im Oktober Justizminister Christoph Blocher in die Türkei.

Türkei nahm Anpassungen vor
Die Türkei hat die gleichen Gesetze wie die Schweiz? Das mag bei vielen Staunen hervorrufen. «Klar, dass einige Bereiche angepasst wurden», führt Professor von Büren aus, wie zum Beispiel das Eherecht, welches in der Türkei nicht so liberal angelegt sei wie in der Schweiz, ebensolche Änderungen beinhalte das Kindsrecht. Aber das Grundgerüst basiert auf dem Schweizer Original. «Unser Gesetz war damals brandneu», erklärt Roland von Büren das Interesse der Türkei am ZGB. Und fast noch wichtiger: Für die damals neu gegründete türkische Republik sei es wesentlich gewesen, dass die Gesetze von einem demokratisch organisierten und politisch neutralen Land stammten; hatte Atatürk doch gerade das Sultanat abgeschafft und die Türkei vom islamischen Recht gelöst. In der neuen Republik sollten weitreichende gesellschaftliche Reformen nach dem Vorbild Europas eingeführt werden.
Noch mehr Staaten mit Schweizer Recht
Somit gilt helvetisches Recht nicht nur für sieben Millionen Schweizerinnen und Schweizer, sondern auch für 75 Millionen Türken. «Und noch viele mehr», ergänzt Roland von Büren. Denn nach dem Auseinanderbrechen der ehemaligen UdSSR hätten zahlreiche islamische Länder im Süden der Sowjetunion das türkische Zivilrecht übernommen – und somit indirekt das schweizerische. «Unsere Zivilrechtsordnung regelt wichtige Bereiche von rund 350 Millionen Menschen», so der Rechtprofessor. Das gebe dem ZGB doch ein ganz andere Dimension, so von Büren. Das sorge für einen regen Austausch auf der rechtswissenschaftlichen Ebene. Und pflege das Image der ganzen Schweiz: «Es ist gut zu wissen, dass unser ZGB ganz offensichtlich ein gutes Gesetz ist.»
Weiterführende Links
Das Schweizer Zivilgesetzbuch (ZGB)
Mit seinem vierbändigen Werk «System und Geschichte des schweizerischen Privatrechts» trug der Schweizer Jurist Eugen Huber verschiedene Gesetzesgrundlagen einzelner Kantone, und gar europäischer Rechte zusammen und legte damit um 1890 die Basis für das Schweizerische Zivilrecht. Er schrieb auch Entwürfe über «Die Wirkungen der Ehe», «Das Erbrecht» und «Das Grundpfand». Nach mehrjährigen Beratungen nahm das eidgenössische Parlament 1907 das ZGB einstimmig an, in Kraft trat die neue Gesetzesordnung 1912. Das ZGB regelt das Personenrecht, Familienrecht, Erbrecht und das Sachenrecht.