Er kennt das Bildungswesen wie kein anderer
Am «Dies academicus» der Uni Bern erhielt der Soziologe Walter Müller die Würde eines Ehrendoktors.
Wegweisende Arbeiten zum internationalen Vergleich von Bildungssystemen hat Prof. Dr. Walter Müller publiziert. Der Soziologe lehrte bis zu seiner Emeritierung im 2004 an der Universität Mannheim empirische Sozialforschung und angewandte Soziologie. Er leitete zudem am «Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung» Arbeitsbereiche wie «Sozialstruktur und Wohlfahrtsstaat»; später übernahm er dessen Direktorium. Noch heute ist Walter Müller wissenschaftlich aktiv: Er arbeitet in Kommissionen und Gremien mit, ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, sitzt im Beirat beim Statistischen Bundesamt sowie im Steuerungsausschuss des Schweizerischen Haushaltpanels und in dessen wissenschaftlichen Beirat. Walter Müller hat nicht nur in Deutschland Forschung betrieben und Lehren gehalten, sondern auch in Wisconsin, Oxford und Wassenaar. Die Philosophisch-humanwissenschaftliche Fakultät verleiht dem Schweizer Soziologen die Würde eines Ehrendoktors.
Ihm wurde die Würde eines Ehrendoktors zuteil: Walter Müller. (Bild:zvg)
Herr Müller, Sie kennen sich bestens aus in den internationalen Bildungssystemen: Wie gut ist dasjenige der Schweiz?
Es braucht sich nicht zu verstecken. In den letzten Jahren hat es große Sprünge gemacht. Ich denke an die Reform der beruflichen Bildung, die heute zu den besten der Welt gehört. Die Möglichkeit der Berufsmatura ist ein exzellenter Weg, den Erwerb beruflicher mit allgemeinen Kompetenzen zu verbinden. Die Schweiz hat konsequent und schnell die Bologna-Reformen umgesetzt und das Fachhochschulsystem auf- und ausgebaut. Ich erwarte, dass als Folge die im Vergleich zu anderen Ländern noch niedrige Zahl von Hochschulabsolventen ansteigt. Grosse Teile der Bevölkerung beteiligen sich in der Schweiz aktiv am lebenslangen Lernen. Dieses wird, im Unterschied zu vielen anderen Ländern, auch durch viele Angebote in nicht-staatlichen Weiterbildungseinrichtungen ermöglicht. In einzelnen Disziplinen zählt die Schweiz zu den führenden Forschungsnationen der Welt.
Wie war es, als Sie selber noch Student waren – war damals in der Bildungslandschaft alles besser?
Die Barrieren des Zugangs zur Bildung waren entschieden höher. Zur Hochschulbildung kam man im Wesentlichen nur über Gymnasien und Kantonsschulen. Von einigen Internatsschulen abgesehen, gab es die fast nur in größeren Städten. Auch die Landschaft der höheren Bildung war viel weniger differenziert. Es gab die Universitäten und die ETH - das wars. In vielen Fächern lehrte ein einziger Professor mit manchmal engem und teilweise auch einseitigem Studienangebot. Manche Professoren waren kleine Herrgötter; die Möglichkeit eines Gesprächs mit ihnen war noch begrenzter als heute. Es hatte aber auch ganz grosse Geister und wunderbare Lehrer unter ihnen.