Wenn Hänschen brav putzt, hat auch Hans gut lachen
Ein Loch im Zahn, Zahnfleischbluten, schiefe Zähne: Fast alle sind irgendwann von Zahnproblemen betroffen. Am Tag der offenen Türe zeigen die Zahnmedizinischen Kliniken (ZMK) der Uni Bern, dass gesunde Zähne kein Zufallsprodukt sind.
Ein stechender Desinfektionsgeruch liegt in der Luft, die Kniekehlen werden weich, die Hände schweissig, das Herz fängt an zu rasen: Der Besuch beim Zahnarzt ist für viele Menschen mit Angstgefühlen verbunden. «Niemand geht gerne zum Zahnarzt», sagt Adrian Lussi. «Aber wir versuchen, der Angst der Leute durch eine optimale Atmosphäre zu begegnen.» Wie das konkret aussieht, demonstriert der Abteilungsleiter für Kinderzahnmedizin und Strukturbiologie an einem Behandlungszimmer, das für die kleinsten Patientinnen und Patienten reserviert ist. Hier werden Kinder betreut, die bei «normalen» Zahnärzten als «unbehandelbar» eingestuft werden – etwa weil sie schon im zarten Alter von zwei Jahren schlimme Karies haben.
Vorher: Wüste Verfärbungen stören die Ästhetik. (Bilder: Anne Grüninger/zvg)
Über dem Behandlungsstuhl ist ein Bildschirm montiert. Während der Arzt im Kindermund für Ordnung sorgt, stülpen die kleinen Patienten Kopfhörer auf und dürfen sich ihre Lieblingsfilme anschauen. Ausserdem können sie mittels Knopfdruck die Bohrmaschine selber zum Stoppen bringen – eine Art Notbremse. In seltenen Fällen werden die Kleinen unter Vollnarkose behandelt. Und natürlich werden in allen fünf zahnmedizinischen Kliniken der Uni auch schmerzlindernde Mittel eingesetzt. Dabei wird ein ganz neues Verfahren mit ultradünnen Nadeln und Computertechnik angewendet. «Da spüren Sie gar nichts mehr», sagt Adrian Lussi. «Ich habe es selber ausprobiert.»
Kinder: Ein Viertel hat Karies
Rund 4000 Patientinnen und Patienten werden an den ZMK jährlich neu aufgenommen. Bei vielen ist Putzen und Flicken angesagt – oder etwas weniger salopp ausgedrückt: Prävention und Zahnerhaltung. Diese beiden Bereiche machen etwa 60 Prozent aller Fälle in der Zahnmedizin aus und werden in der Klinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kindermedizin behandelt. «Ein Viertel der Kinder hat Karies», sagt Lussi. «Das sind drei Viertel aller Kariesfälle.» Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Was im frühen Kindesalter versäumt wurde, muss später mit grösserem Aufwand korrigiert werden. Deshalb spannen jetzt Gynäkologen, Kinderärzte, Mütterberaterinnen und Zahnärzte für eine neue Kampagne zusammen. Schon schwangere Frauen sollen über die Wichtigkeit der Zahnpflege bei Kleinkindern informiert werden.
Nachher: Die Zähne sind hübsch verkleidet.
Doch Adrian Lussi kümmert sich natürlich auch um erwachsene Patienten mit Hingabe – pro Woche ist er rund 20 Mal selbst «an der Zahnfront» im Einsatz. Während bei Kindern vor allem die Kauflächen von Karies betroffen sind, sind die Schäden zwischen 18 und 40 Jahren vor allem zwischen den Zähnen zu suchen. Im Alter sind dann die Wurzelkaries und der Zahnfleischschwund ein grosses Problem. Klingt nicht gerade appetitlich – und trotzdem ist Lussi von seinem Beruf begeistert. «Die Kombination von intellektuellem medizinischem Wissen mit sehr feiner Handarbeit ist faszinierend», sagt er. Zudem sei es befriedigend, dass man die Resultate seiner Arbeit sofort sehe.
Füllung so teuer wie Gold
An der Klinik für Zahnerhaltung werden denn auch ästhetische Korrekturen vorgenommen – ein verfärbter Zahn kann gebleicht oder verkleidet werden. Dabei gilt für Lussi der Grundsatz: «Möglichst wenig gesunde Zahnsubstanz opfern!» Übertriebenem Schönheitswahn, der auch vor der Zahnmedizin nicht Halt macht, kann er nicht viel abgewinnen. So relativiert er auch den Vorwurf, Zahnmedizin sei (zu) teuer. «Bei der Berechnung der Zahnarzttarife ging man vom Lohn eines Gymnasiallehrers aus. Dementsprechend ist die Entlöhnung des Zahnarztes gut, sie kann aber durch mehr Einsatz erhöht werden. Dabei ist zu beachten, dass der personelle und materielle Aufwand sehr hoch ist.» So könne ein Zahnarzt ausser der Zahnreinigung kaum Arbeiten delegieren und brauche sogar noch eine Dentalassistentin. Zudem seien die Apparaturen und Materialien sehr teuer – ein Gramm Kunststofffüllung kostet gleichviel wie ein Gramm Gold, ein Behandlungsstuhl rund 80'000 Franken. «Ich sehe keine Möglichkeit, zahnärztliche Leistungen zu verbilligen», sagt Lussi. Umso wichtiger sei eben die Prävention, damit teure Behandlungen verhindert werden können.
Kaum Ekelgefühle
Das Herz schlägt wieder in normalem Rhythmus, die Hände sind trocken, die Knie stabil. So schlimm wars heute nicht beim Zahnarzt. Eine Frage bleibt dennoch offen: Herr Zahnarzt, ekelt es Sie nie, in fremde Münder voller Bakterien zu blicken? Adrian Lussi lächelt und schüttelt den Kopf: «Ich denke, der Wille, gute Arbeit zu leisten, ist grösser als die allfällige Abscheu.» Auch wenn es vorkommen kann, dass bei einem jungen Patienten während der Behandlung das Mittagessen hochkommt – direkt auf den Mantel des Zahnarztes... «Es gab Riz Casimir», kommentiert Lussi jenen Vorfall trocken.