86 Minuten lang Schafe züchten

Sie stehen für Prestige und Identität. Aber sie fordern viel Schweiss und Idealismus: Die Schwarznasen-Schafe sind Aushängeschilder der Oberwalliser Bauern. Ein ethnografischer Film der Uni Bern verschafft einen Eindruck vom Wandel in der Berglandwirtschaft.

Von Bettina Jakob 10. April 2007

Klappe, Film ab: «Ein hübsches, kurzes Köpfchen, schwarze Ohren und ein schwarzes Gesicht. Der Stand breit und das Rist gerade – genau so muss es sein.» Reinhold Bittel langt mit der Hand unter das Kinn des jungen Widders und posiert stolz: «Bei uns geht es nicht ums Geld, sondern um Schönheit.» Bittel ist Züchter von «Schwarznasen», einer Schafsrasse, die es steil ob dem Rhonetal gibt – so im Dorf Eggerberg im Oberwallis. Die Kamera schweift hinunter zum Fluss, dem «Rottu», eingeklemmt zwischen Fabrikgebäuden und rauchenden Kaminen: Das ist der Arbeitsplatz von Reinhold Bittel, seit 20 Jahren analysiert er Stoffe im Chemiewerk Lonza. Nach der Schicht bringt ihn sein Vierradantrieb-Auto hinauf zum Stall, zum Füttern und Misten der Tiere und zum Entwirren ihrer feinen Wollhaare. 

Schwarznasenschaf
Wollknäuel aus dem Oberwallis: Die Schwarznasen-Schafe. Bilder: Zvg

Sylviane Neuenschwander porträtiert in ihrem Film «Schneeweisse Schwarznasen» drei Schafzüchter an der Südrampe des Lötschbergs. Die Sozialanthropologin der Uni Bern stellt am Beispiel einer Nutztierrasse familiäre, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenhänge dar – denn die Schwarznasen-Zucht ist im Wallis weit mehr als landwirtschaftliche Tierhaltung: «Es geht um Identität und Prestige.» Die Ethnologin kennt die Situation der Bergbauern sehr gut, bewirtschaftete die Ärztin doch vor ihrem zweiten Studium selbst ein Heimetli im Schweizer Bergkanton.

Szene 2: Wildes Treiben auf dem Markt

Auf dem orangen Schild steht Kategorie 4A, darunter drängen sich überdimensionale, weisse Wollknäuel mit geschraubten Hörnern. Es ist Widdermarkt in Visp, 600 Schafe werden nach Zuchtbuchkriterien eingestuft. Nicht alle Züchter sind einverstanden mit dem fachmännischen Urteil über ihre gehegten und gepflegten Lieblinge: «Unsere Gegner sind nicht nur die Wölfe, sondern auch die Experten», klagt einer in klingendem «Wallisertiitsch». Auch die angeleinten Widder stossen die Hörner aneinander.

Zwei Jahre lang dauerten die Recherchen, die Dreharbeiten, das Produzieren des 86-minütigen Films. Die Filmcrew bestand lediglich aus Sylviane Neuenschwander, die übrigens auch als einzige Geldgeberin fungierte – bis auf den Kanton Wallis, der ihr Projekt mit einem Zustupf unterstützte. «Alleine zu filmen ist anstrengend, aber dadurch entsteht mehr Nähe zu den Porträtierten», ist die Filmerin sicher. Nie hätte sie allerdings gedacht, dass es die Produktion bis in die Kinos schafft. Der ethnografische Film ist ihre Lizentiatsarbeit, die von einem Text begleitet wird, welcher die sozialanthropologische Analyse einiger Themen liefert. Im Dokumentarfilm selber wollte die Ethnologin «die persönliche Sicht der Menschen zeigen, und nicht diejenige von aussen». Nächste Aufführungen der «Schneeweissen Schwarznasen» sind im April (siehe Links).

Bittel mit Schwarznasenschaf
Der stolze Züchter: Reinhold Bittel präsentiert einen seiner Lieblinge.

Szene 3: In die Zukunft?

Dann kommen die ersehnten «Schäfertage» – gemäss Bittel «die schönste Zeit im Jahr»: Mit seinen Kollegen klettert der Hobbyzüchter mit 150 Schafen auf die Sommeralp, sie hängen den Tieren Glocken um, witzeln, geniessen die Aussicht, «für welche andere hunderte von Kilometern reisen», so Bittel. Der Eggerberger hofft, ein wenig wehmütig, dass sein Sohn später einmal die Zucht weiterführt… Bei den Jungen ist Schafe züchten allerdings nicht so «in», wie ihm seine Tochter erklärt: «Wir haben keine Lust, für ein paar ‹Tierleni› zu schuften.» Angesagt seien vielmehr Reisen, in den Ausgang gehen, im Kino die neuesten Streifen ansehen. Bittels Frau Claudia versteht das. «Wenn ich jung wäre, würde ich auch das tun.» Auch jetzt wünschte sie sich «einen Monat Amerika oder so». Als die Familie einmal eine Woche in Österreich war, hatte Reinhold Bittel «Herzweh vor Längiziti», so seine Ehefrau. Auch wünsche sie sich manchmal, so meint sie lachend, «im nächsten Leben einen Mann, der Briefmarken sammelt».

Was passiert, wenn die neue Generation nicht mehr weitermacht? Eine Frage, die für Sylviane Neuenschwander gleich nächste aufwirft: «Wer pflegt dann die Landschaft? Und wer wird schliesslich hier leben: Die Einheimischen oder zugezogene Pendler und Touristen? Bleibt diese Alpenregion Lebens- und Kulturraum oder wird sie zum Erlebnisraum?» Die Schafzucht im Oberwallis zieht grosse Kreise: «Sie widerspiegelt den Strukturwandel in der Oberwalliser Berglandwirtschaft», so Neuenschwander.

Saftige Wiesen hoch über dem Rhonetal.
Saftige Wiesen hoch über dem Rhonetal.

Szene 4: Der Wolf und «die in Bern»

«Die Schwarznasen sind mehr als ein Hobby für mich», gesteht Reinhold Bittel, er sitzt in der Küche, hinter ihm an der Wand hängt Da Vincis Abendmahl. «Sie sind eine Sucht.» So solle denn der Wolf dort bleiben, wo er aufwachse: «Und das ist sicher nicht im Kanton Wallis», stellt er klar. Ein Schaf sei nicht gleich ein Schaf. Eine Schwarznase sei etwas besonderes, weil eine riesige Arbeit dahinter stecke – man könne ein gerissenes Tier nicht einfach mit Franken entschädigen, sagt Bittel. Er sei enttäuscht, dass «die in Bern» das einfach nicht verstünden.

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