Weihnachten am Ende der Welt

13 000 Kilometer von der Heimat entfernt, 12 Meter unter Tag – das Christkind findet den Weg auch in abgelegene Winkel dieser Erde: Die Berner Geophysikerin Christine Läderach feiert mit ihrem Forscherteam Weihnachten in der Antarktis.

Von Bettina Jakob 24. Dezember 2007

Wenn jemand mit Sicherheit weisse Weihnachten feiert, dann ist das Christine Läderach. Die Koordinaten ihres Aufenthaltortes lauten: 70° 39’S, 08°15’W. Übersetzt: Ekström-Schelfeis in der Atka-Bucht des nordöstlichen Weddelmeeres, Antarktis. Die Berner Geophysikerin arbeitet für das deutsche Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in der Neumayer-Station – 12 Meter unter der Erdoberfläche, mit der Wohnstube mitten im Eis. Sie versichert per Email, dass auch die Forschungsstation im kalten Süden Weihnachten feiert – mit einem Plastikbäumchen. Selbst Päckli werden unter dem Tannenbaum liegen. «Meine Familie hat mir Geschenke geschickt. Sie kamen mit dem ersten Flieder anfangs November», schreibt Läderach an «uniaktuell».


Seit mehr als einem Jahr in der Antarktis: Christine Läderach. (Bilder:AWI)

Zu neunt durch den langen Winter

Mit dem ersten Flieger? Während neun Monaten lebten die neun Üwis – steht im Fachjargon für die Überwinternden – auf sich alleine gestellt, abgeschottet am Ende der Welt: ein Arzt, ein Ingenieur, ein Koch, ein Funker und Elektroniker, eine Meteorologin, eine Luftchemikerin und zwei Geophysikerinnen, eine davon die 25-Jährige Bernerin aus Heiligenschwendi im Berner Oberland. Doch von Einsamkeit will Christine Läderach nichts wissen: «Selbst im Winter hatte ich nicht das Gefühl einsam zu sein. Das Leben hier ist wie in einer grossen Familie oder einer WG.» Klar, vermisse man Familie und Freunde zu Hause. Doch zurzeit herrscht auf der Neumayer-Station Hochbetrieb. Wie immer im Sommer halten sich manchmal bis zu 30 Leute in der Forschungsstation auf. Sie beherbergt ein Observatorium für Geophysik, Meteorologie, Luftchemie und Überwachung der Ozonwerte in der Atmosphäre. Errichtet wurde die heutige Station 1992, den Namen erhielt sie von einem Förderer der deutschen Südpolarforschung, Georg von Neumayer.

Die Treppentürme der Empfangs- und Sendemasten in der Polarnacht. Der Grossteil der Neumayer-Station befindet sich darunter im Eis.

Die Neumayer-Station am 24. Dezember um 2 Uhr morgens. (Bild: Webcam AWI)

Festmenü an Heiligabend

Die Beschreibung auf der Homepage von AWI hört sich an wie ein Passage aus dem Drehbuch zum Sciene-Fiction-Film: Die Station besteht aus zwei 90 Meter langen parallelen Stahlröhren, die einen Durchmesser von acht Metern haben. Darin sind Container mit Wohnräumen, Küche, Messe und Hospital sowie verschiedene Labore, Werkstatt, Funkraum, Sanitärräume, zwei Energiezentralen und eine Schneeschmelze untergebracht. Ein Tunnel verbindet die Station mit einer weiteren Halle, die vom Motorschlitten bis zur Schneefräse alle Fahrzeuge der Station aufnehmen kann.

Doch die sogenannten Container sind alles andere als steril. Fotos der letztjährigen Weihnachtsfeier beweisen, dass es auch auf der 200 Meter dicken Gletscherzunge eine warme und gemütliche Stube mit Sofa, Büchergestellen und Kerzen gibt. Da Weihnachten in die Sommerzeit fällt, bekommen die Üwis auf dem Luftweg auch wieder ab und zu frische Lebensmittel geliefert. So werden anstelle von Büchsennahrung gar Gourmetmenüs serviert, wie der Hautpgang am letztjährigen Heiligabend zeigt: Babarie Entenbrustfiltet mit Honig-Ingwerkruste an Madeirasauce, dazu Mandelbroccoli-Buttermöhrchen und Pommes Duchesse. «Was heuer auf den Tisch kommt, will der Koch aber noch nicht verraten», schreibt Christine Läderach.

Überwachen des Atomteststopp-Abkommens

Die Kaiserpinguine vor der Haustür, die Polarlichter über dem Kopf, Monate in der Dunkelheit, ein Büro 12 Meter unter Tag, Schneeschippen bei Wind mit Orkanstärke, endloses Weiss: Alles aufregende, spezielle und wundervolle Erlebnisse, «doch grundsätzlich hat unser Aufenthalt wenig mit Abenteuer zu tun», schreibt Christine Läderach. «Es ist halt ein etwas anderer Arbeitsort, aber sonst ist es eine Arbeit wie jede andere auch.» Die Bernerin hält sich an einen geregelten Tagesablauf, steht um sieben Uhr morgens auf, macht Sport im Fitnessraum oder – wenn es das Wetter erlaubt – joggt draussen eine Runde. Ihr Job ist es, seismische Daten auszuwerten, das Erdmagnetfeld zu messen, und wartet die Infraschallstation, welche die Einhaltung des Internationalen Atomteststopp-Abkommens überwacht.

Kaiserpinguine in der Nähe der Forschungsstation.

Wunschlos glücklich im Eis

Über ein Jahr sitzt Christine Läderach nun auf Neumayer. Schon immer hat die Antarktis die junge Frau fasziniert – so sehr, dass das Forschungsprojekt gleich ihr erster Job nach dem Studium an der Uni Bern wurde. Wenn sie im Februar von der Gletscherzunge abhebt, wird sie im AWI in Bremerhaven ihre Daten von der Forschungsstation nachbearbeiten. Zuvor aber Urlaub in Kapstadt machen. Und was könnte eine Frau im ewigen Eis schon jetzt und hier glücklich machen – drei Wünsche ans Christkind: «Gute Gesundheit für alle, eine weiterhin unfallfreie Sommersaison und dass ich auch in Zukunft so wunschlos glücklich bin, dass ich Schwierigkeiten habe, diese Frage zu beantworten.» In der endlosen Weite der Antarktis scheinen materielle Begehrlichkeiten zu verschwinden. Dafür tauchen ab und zu Eisberge auf. Wie etwa am 20. Juli dieses Jahres, als «C-18A» und «B-15L», Eisstücke von 30 Kilometern Länge und einigen Kilometern Breite am Horizont vorbeiglitten.

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