Erst auf halbem Weg nach «Bologna»

Alles besser dank «Bologna»? Nein, meint die SUB der Uni Bern. Weder sei die gepriesene Mobilität gewährleistet, noch die soziale Ungleichheit aufgehoben. Mitschuldig sei die Struktur der Hochschulreform und die schlechte Stipendienpolitik. Eine Podiumsdiskussion.

Von Bettina Jakob 01. Juni 2007

Die Ziele sind ambitioniert: Ein einziger europäischer Hochschulraum, in dem sich die Studierenden frei über die Grenzen bewegen können. Titel und Abschlüsse sind vergleichbar, das Kreditpunktesystem (ETCS) wird transparenter und das Studium soll bereits nach drei Jahren mit einem Bachelor abgeschlossen werden; ein Masterstudium kann freiwillig folgen. Das sind die Grundlagen der Hochschulreform «Bologna», welche 29 Europa-Staaten im Jahr 1999 beschlossen haben. Sind diese Pläne acht Jahre später Wirklichkeit? Dieser Frage ging die SUBKultur an einer Podiumsdiskussion über die «soziale Dimension und Mobilität im Bolognaprozess» nach.


Bologna-Diskussion mit (v.l.) Martin Unger, Urs Würgler, Christoph Wehrli, Rahel Imobersteg, Silvia Studinger. (Bild:bj)

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung waren Silvia Studinger vom Staatssekretariat für Bildung und Forschung, Rahel Imobersteg, Co-Präsidentin des Verbandes der Schweizerischen Studierendenschaften, Urs Würgler, Rektor der Uni Bern und Martin Unger, Soziologe aus Wien und Delegierter in der «Working group on social dimension and mobility» des Bologna-Prozesses. Moderiert wurde die Runde von NZZ-Redaktor Christoph Wehrli.

Soziale Selektion in der Schweiz?

Soziologe Martin Unger nahm es in seinem Referat vorweg – die Ziele sind noch nicht erreicht: Gerade bei der gepriesenen Mobilität hapere es aufgrund von Schwierigkeiten bei der Visa-Ausstellung und Arbeitsbewilligung, oftmals würden die in einem anderen Land erworbenen Kreditpunkte von der Heimat-Uni nicht akzeptiert. Auch sei es vielerorts problematisch, ein Stipendium ins Ausland zu übertragen.

Die Stipendienpolitik in der Schweiz wurde auch von den anderen Vertreterinnen und Vertretern auf dem Podium gerügt: Rektor Urs Würgler warnte davor, die Stipendien noch weiter zu kürzen und sie weiterhin von den einzelnen Kantonen festlegen zu lassen. Rahel Imobersteg sieht als Folge der immer restriktiveren Vergabe eine «soziale Selektion» bereits im eigenen Land – was im totalen Gegensatz zu den Grundsätzen von «Bologna» stehe: Die Europäische Kommission will nämlich Studien über Stipendien und Studiengebühren durchführen, um die Chancengleichheit und die Zugangsmöglichkeiten zur Hochschulbildung zu gewährleisten. Doch Silvia Studinger vom Staatssekretariat winkte ab: Erst mit dem Hochschulrahmengesetz 2012 würden «harmonisierende» Empfehlungen in Sachen Stipendien abgegeben. «Das ist Zukunftsmusik», so Studinger, auf welche Imobersteg und Würgler aber nicht vier Jahre warten wollen. «Die Studierenden werden Druck machen», versprach Rahel Imobersteg.

Die Reichen bleiben länger im Ausland

Gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik hat die Mobilität der Studierenden zugenommen – doch die SUB spricht von einer Abnahme: «Es geht um das klassische Auslandsemester, das die meisten Studierenden im dritten Jahr einschalten», erklärt Imobersteg. «Die neue Studienstruktur mit dem Bachelor-Abschluss nach drei Jahren erschwert einen Auslandaufenthalt.» Rektor Urs Würgler hielt fest, dass nicht nur die Mobilität während des Studiums, sondern auch nach dem Masterabschluss wichtig sei. «Und diese ist ungebrochen.» Allerdings sei die Finanzierung eines Semesters an einer ausländischen Uni nach dem Bachelor doch problematischer, so Moderator Wehrli. Somit schliesst sich der Kreis zwischen Mobilität und der sozialen Ausgangslage der Studierenden: Am mobilsten ist der Nachwuchs der höheren sozialen Schichten, wie Soziologe Martin Unger bemerkt: «Er weilt länger und freiwillig im Ausland.»

Wie weiter?

Was kann man konkret verbessern? Soziale Ungleichheit könne ein Uni zum Beispiel mit dem Wiederholen von Vorlesungen während der Semesterfeien lindern. «Damit können Studierende, die arbeiten müssen ihrer Nebenerwerbstätigkeit nachgehen», so Unger. Studinger verwies auf einen Studiengang der Rechtswissenschaft der Uni Luzern, der die Möglichkeit zur gleichzeitigen Erwerbstätigkeit biete. Alle waren sich einig, dass bis zur nächsten europäischen Bologna-Konferenz die Befindlichkeiten der Studierenden evaluiert werden müssten. Die Standards der einzelnen Unis und Hochschulen müssten überprüft werden. «Wir wollen bis 2009 Vorschläge zum Abbau von Mobilitätshindernissen präsentieren», so der österreichische Soziologe – im Jahr 2010 soll die «Bologna»-Reform abgeschlossen sein.

Oben