Die Walliser schwatzen die Berner unter den Tisch

Bern – die Stadt der Gemütlichkeit. Hier hetzt niemand, schon gar nicht beim Sprechen. Wissenschaftler der hiesigen Uni belegen nun mit Zahlen, dass die Bernerinnen und Berner tatsächlich langsamer parlieren – zumindest langsamer als die Walliser. Bald folgt der Vergleich mit Zürich und Chur.

Von Bettina Jakob 03. Juli 2007

Sie sprechen beide kein Berndeutsch. Verleiht dies den Sprachwissenschaftlern an der Uni Bern die Objektivität, zu beweisen, die Bernerinnen und Berner würden langsam sprechen? Genau dies tun Adrian Leemann und Beat Siebenhaar nämlich. Ihre Zahlen untermauern das Klischee: Im Vergleich mit Walliserinnen kommen die Berner beim normalen Sprechen nur auf knapp 5 Silben pro Sekunde, während ennet dem Lötschberg in der gleichen Zeit sechs Silben hingelegt werden. Leemann und Siebenhaar liefern auch die Erklärung, warum: Das Berndeutsch dehnt die Laute am Wort- und Satzende mehr als das «Wallisertiitsch». «Ein Effekt, der die Sprache als langsamer macht», sagt Siebenhaar. Die Studie wird im Rahmen des Nationalfondsprojekts «Quantitative Ansätze zu einer Sprachgeographie der schweizerdeutschen Prosodie» durchgeführt.

Foto von Adrian Leemann und Beat Siebenhaar am Arbeitsplatz vor dem Bildschirm
Adrian Leemann (links) und Beat Siebenhaar bei der Computeranalyse des Berndeutschen: Die Datenbank beinhaltet 60'000 Laute. Bild: Zvg

Eineinhalb Jahre Knochenarbeit

Die Prosodie beschreibt die Melodie einer Sprache und beinhaltet die Faktoren Intonation, die Dauer einzelner Laute und die Stimmqualität, Lautstärke eines Sprechers. Für den Vergleich der beiden Dialekte haben die Sprachwissenschaftler je 20 bis 30 Personen aus Bern und Brig befragt. «Wir liessen die Gymnasiasten ihre Zukunft nach der Matur schildern», erklärt Leemann die Datengrundlage seiner Dissertation. «Die Personen sollten möglichst spontan und ohne grosse Emotionen über ein Thema sprechen, damit die Daten vergleichbar sind.» Nach den Interviews begann die Knochenarbeit: Die Transkription der Aufnahmen, die Segmentation von Wörtern in einzelne Laute also Vokale oder Konsonanten; zur Hilfe kam den Forschenden dabei ein Computerprogramm, welches ein Spektrogramm der Laute erstellt und das präzise Schneiden des Gesprochenen erlaubt. Der Schwerpunkt auf der zeitlichen Analyse in der Sprachforschung ist europaweit einzigartig. 

Oszillogramm
Eine Software analysiert die Sprache: Oszillogramm (oberste Reihe), die Grundfrequenz (Mitte) und die Laute in zeitlicher Abfolge (unten). Grafik: Zvg

Nach eineinhalb Jahren war eine Datenbank mit 60’000 Lauten geschaffen. Jeder Laut hat normalerweise eine Dauer zwischen 15 und 250 Millisekunden bei Diphtongen (Doppellauten). Die Software zeigt auch den Kurvenverlauf der Tonhöhe, die aus den Schwingungen des Kehlkopfs entsteht. «Damit lässt sich die Intonation über einen ganzen Satz veranschaulichen, die sogenannte Grundfrequenz», erläutert Beat Siebenhaar. Auch Wortakzente lassen sich feststellen.

112 : 94 für die Walliser

Aus diesem Berg von Daten sind vergleichbare Faktoren entstanden – welche nun die Gemütlichkeit der Bernerinnen und Berner quantitativ belegen. Sie sprechen weniger Silben pro Sekunde und setzen dadurch auch weniger Wortakzente: Die Walliser reden die Bernerinnen mit 112 Akzenten in der Minute unter den Tisch; die Hauptstädterinnen kommen lediglich auf 94 Akzente. Auch die Grundfrequenz des «Wallisertiitsch» zeigt ein anderes Bild als das Berndeutsch. Die Ausschläge der Kurve gehen höher hinauf und tiefer hinunter und vermitteln mehr Melodie. «Die Zuhörer haben deshalb das Gefühl, dass die Walliserinnen und Walliser singen», so Siebenhaar. Zusammenfassend stellen die Sprachforscher fest, dass der Walliser-Dialekt eine grössere Variation aufweist. Über die Gründe wollen sie aber noch keine Hypothesen aufstellen, vermuten dahinter aber soziolinguistische Faktoren und eine unterschiedliche Raumstruktur sowie die daraus folgende Sprachentwicklung. 

Grafik aus der Studie
Der numerische Beweis: Die Berner (links) dehnen die Vokale am Phrasenende mehr als die Walliser. Grafik: Zvg

Jetzt sind Zürich und Chur an der Reihe

Zwei Dialekte haben die beiden Sprachwissenschaftler besprochen – nun warten noch Aufnahmen aus Zürich und Chur auf die Analyse. «Damit wir einen Überblick über vier prägnante Dialekte der Schweiz machen können», so Leemann. Zürich muss denn noch seine Feuerprobe bestehen und beweisen, dass sein Dialekt tatsächlich so schnell ist, wie Züri selbst behauptet. «Denn eigentlich», sagt Sprachwissenschaftler und Nicht-Berner Siebenhaar augenzwinkernd, «sind die Berner ja nur so langsam, damit alle anderen folgen können.»

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