Fürs Leben gezeichnet
Wie ein Rind gebrandmarkt oder vielmehr Kunstobjekt? Wo sind tätowierte Menschen anzusiedeln? Ein Berner Sozialanthropologe ging der Frage nach und analysierte die Symbolik von Tattoos in US-Filmen.
Der Delphin auf dem Schulterblatt, das keltische Ornament um den Oberarm: Tätowierungen gehören inzwischen zum Alltagsbild wie die Kirche zum Dorf. Auch Christian Wymann hat sich vor sechs Jahren stechen lassen, doch der Hemdkragen verdeckt das Tattoo auf dem Schlüsselbein fast ganz. Aber nur fast. Denn Tätowierungen sollen ja gesehen werden – seit den 1970er Jahren seien sie zum Ausdruck von «Identität, Selbstverständnis, Kunst» geworden, wie der Sozialanthropologe der Uni Bern sagt. Dem war nicht immer so: Früher trugen vorwiegend «Outlaws» wie Seemänner, Soldaten und Kriminelle dicke schwarze Zeichnungen für die Ewigkeit auf der Brust. «Und die Vorurteile, dass dem immer noch so ist, halten sich hartnäckig bis heute», sagt Christian Wymann, «obwohl der Blick durch die Gassen etwas ganz anderes offenbart». In seiner Liz-Arbeit hat er die soziale Position tätowierter Menschen in 35 amerikanischen Filmen, datiert ab 1980, in einer Diskursanalyse unter die Lupe genommen.
Ist der Held nun gut oder bös?
Das Ergebnis von Wymanns Studie untermauert das landläufige Vorurteil. «Prinzipiell gehören die Tätowierten in den US-Filmen immer noch zu den bösen Jungs», erklärt Christian Wymann. Doch warum tragen auch Filmhelden Tattoos? Diese gehörten oftmals ebenso zu den harten Kerlen, so der Forscher. Entweder weil sie die Seite gewechselt hätten oder weil auch sie sich am Rand der Legalität bewegten. Sie werden als Undercoveragenten in Gangs eingeschleust oder bringen Verbrecher zur Strecke.
Die Tätowierungen der Darsteller werden jedoch gemäss Wymann sehr differenziert ausgewählt. Während die Leinwand-Helden, wie etwa der Vampirjäger aus dem Kassenschlager «Blade», sogenannte «Custom Tattoos» tragen – grossflächige Zeichnungen, welche die individuelle Persönlichkeit des Helden untermalen und von der Kamera als Kunstobjekt aufgefangen werden –, sind die wahren Gangster mit «Flashs» etikettiert: Kleinere Zeichen, die oftmals gruppenspezifisch getragen werden und den Betreffenden in eine Kategorie einteilen – wie es auch in «Blade» der Fall ist.
Wie im Film, so in Wirklichkeit
Damit spricht der Sozialanthropologe einen weiteren Aspekt der Tätowierten im US-Film an – die Zugehörigkeit. «Das Tattoo dient auch als Markierung», so Wymann. Soldaten tragen ihren Grad in Tinte unter der Haut, in Science-Fiction-Filmen werden Versuchsobjekte mit Strichcodes oder Zahlen gekennzeichnet – etwa im Klassiker «Alien». Gangmitglieder in Gefängnissen tragen Zeichen mit gleicher Symbolik, etwa Hakenkreuze oder bestimmte Nummern wie 666, die Zahl des Teufels.
Wie im Film sieht heute oft die Wirklichkeit aus. Zum Beispiel in den Strassen von Guatemala, wo die gefürchteten Gangs der «Maras» ihre Tattoos sogar im Gesicht tragen. «Ein starkes Bekenntnis», so der Sozialanthropologe. Ebenso funktionieren die Tätowierungen der japanischen Mafia «Yakuza»: Es sind Zeichen, welche überall als klare Signale registriert würden. «Es geht darum, dass diese Menschen diskussionslos sozial richtig zugeordnet werden», erklärt Christian Wymann. Das erinnere ihn gerade an die Tattoos der «Hells Angels», der berühmten – heute weniger berüchtigten – Rockergang: Die Biker-Herren liessen ihren Begleiterinnen jeweils «Property of…» und dahinter ihren Namen eintätowieren, damit für alle fraglos klar war: Hände weg von meiner Braut!
Kunst, aber auch Stempel
Tätowierungen in US-Filmen widerspiegeln somit die längst überholte These: «Tätowierte sind kriminell.» Doch ganz so eindeutig sind die Zuordnungen gemäss Wymanns Ausführungen aber nicht: «Es geht um viel mehr», so der Forscher: Böse ist nicht immer nur Böse, auch der Held ist tätowiert. Und das Tattoo hat viele Signale: Es ist Kunst, aber auch Stempel – wie die Brandmarkung bei Rindern.
Weiterführender Link
Lizentiat Christian Wymann: «Tätowierungen und Tätowierte im Film beobachtet. Diskurse in US-amerikanischen Spielfilmen»