Aus der Trick-Kiste der Informatiker
Auch das ist Informatik: Die Computergrafiker der Uni Bern produzieren Animationsfilme. Das Neuste aus der Welt der bewegten Bilder ist ein Zweiminüter über Karl den Kühnen und seine Wandteppiche – ein Auftrag des Historischen Museums Bern.
Ein echter Computerfachmann bringt seinen Arbeitsplatz gleich zum Treffen mit. Matthias von Rohr schwingt seinen Laptop auf den Schoss und drückt auf den Startknopf. Der schwarze Bildschirm verwandelt sich in ein drehendes Gebäude, das wir wie ein Vogel umfliegen, welcher plötzlich in die Tiefe sticht und vor einem immensen Eingangstor landet: «Das ist der Coudenberg-Palast», erklärt der Informatiker der Uni Bern. Ein Palast, der längst nicht mehr existiert; 1731 brannte die riesige Brüsseler Residenz Karl des Kühnen bis auf die Grundmauern nieder. Der Berner Matthias von Rohr hat den Palast virtuell rekonstruiert. Zu sehen ist das immense Steingebäude in einem zweiminütigen Animationsfilm, der nächstes Jahr Premiere feiern wird.
Der Coudenberg-Palast nach minutiöser «Bastelarbeit» am Computer. (Bilder:zvg)
Ein Trickfilm als Masterarbeit
Was aussieht wie der Trailer eines neuen Computerspiels, ist in Tat und Wahrheit der Kern einer Masterarbeit am Institut für Informatik und angewandte Mathematik. «Eine Auftragsarbeit des Historischen Museums», präzisiert Professor Hanspeter Bieri, der die Gruppe «Computergeometrie und Grafik» leitet. Das Berner Museum ist stolze Besitzerin einiger Burgunder Tapisserien Karls des Kühnen, des letzten von vier burgundischen Herzögen. Karl der Kühne kam 1477 in einer Schlacht bei Nancy ums Leben, kurz nachdem er bereits die Schlachten bei Grandson und Murten und damit seine Tapisserien verloren hatte; der Herzog hatte sich in seinem Expansionsbestreben um Lothringen auch mit den Eidgenossen angelegt.
Karl der Kühne liebte Luxus und Prunk. Seine wertvollen Wandteppiche, in welche filigranste Goldfäden eingewoben waren, hat der Herzog gemäss Überlieferung immer mit auf seine Reisen genommen. Im Coudenberg-Palast, in der so genannten «Aula magna», sollen die 5 auf 10 Meter grossen Tapisserien anlässlich von Staatsbesuchen aufgehängt worden sein, wie mittelalterliche Dokumente überliefern. Der Animationsfilm von Matthias von Rohr soll im Jahr 2008 ihre Geschichte veranschaulichen. Und so schweben in von Rohrs Film die Tapisserien wie in 1001 Nacht in den Palast, rollen sich wie von Zauberhand aus und hängen sich an die Wand.
Historische Dokumente als Vorlage
Hinter den trickreichen Animationen stecken über drei Monate Arbeit am Bildschirm. «Die Modulation von Gebäuden und Teppichen ist aufwändig», erklärt Matthias von Rohr. Zwar nahm der Informatiker spezielle Grafiksoftware zu Hilfe, mit welcher nach dem Baukastenprinzip in einem dreidimensionalen Koordinatensystem ausgewählte Geometriefiguren wie Kegel, Zylinder, Würfel zu einem Gebäude «zusammengesetzt» werden können.
Auch die Nachbildung der Tapisserien erforderte viel Geduld am Bildschirm.
Um den Coudenberg-Palast und den so genannten «1000 Blumen-Teppich» allerdings authentisch darzustellen, bedurfte es genauester Modellierung, der eine ebenso intensive Recherchezeit vorausgegangen war: «Aufgrund historischer Daten musste ich zuallererst ein möglichst originaltreues Bild des Palastes und der Tapisserien zeichen», erklärt von Rohr. Was zu ausgiebigem Durchsehen mittelalterlicher Bilder, Schriften und zu einigen Telefonaten mit Brüssel, dem Sitz des ehemaligen Coudenberg-Palastes, geführt habe. Stimmen schliesslich alle Details und Texturen, legt ein Rechenprogramm die gewünschte Beleuchtung über die Szenerie und sorgt für den korrekten Schattenwurf: So entsteht ein Animationsfilm – seien es zwei Minuten über wertvolle Tapisserien oder ein Kino-Kassenschlager wie «Shrek».
Auch Einsteins Velofahrten wurden zum Film
Karl der Kühne ist nicht der Erste, dem das Berner Informatik-Institut einen animierten Film widmet: Fast wie einst Albert Einstein konnte man im Einsteinjahr virtuell durch die Berner Gassen sausen und zwar mit annähernd Lichtgeschwindigkeit. Dieser Film stellte die bisher grösste Produktion der Forschungsgruppe dar. Die Berner Informatiker animierten ausserdem den Christoffelturm, der 1865 abgerissen worden war, den Kanderdurchstich und die Entstehung der Stadt Bern, die im Tramdepot beim Bärengraben verfolgt werden kann. Die meisten Aufträge kommen aus dem Historischen Museum. «Bei der Aufarbeitung geschichtlicher Ereignisse paaren sich Kunstgeschichte, Museumskunde und Informatik – eine spannende Mischung», fasst Professor Hanspeter Bieri zusammen.
Computergrafik an der Uni Bern
Die Gruppe «Computergeometrie und Grafik» des Instituts für Informatik und angewandte Mathematik der Uni Bern beschäftigt sich schwergewichtig mit der Modellierung und Darstellung von 3D-Objekten. «Doch die Computergrafik ist nicht Kernbereich der Informatik», wie Gruppenleiter Hanspeter Bieri erklärt. Computergrafiker arbeiten nach der Uni meist nicht auf den favorisierten Gebieten wie Werbung, Filmproduktion und Webdesign, sondern wie ihre Informatikerkollegen in der Telekommunikation und Software-Entwicklung.