Lernt der Mensch durch Naturkatastrophen?

Klimapolitik im 19. Jahrhundert – oder der lange Weg von der Naturkatastrophe zum Gesetz: Ein Referat des Berner Umwelthistorikers Christian Pfister an den Schweizer Geschichtstagen.

Von Bettina Jakob 19. März 2007

«Und es musste abermals eine Katastrophe kommen, damit etwas unternommen wurde.» Christian Pfister, Professor für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte am Historischen Institut der Universität Bern beleuchtete an den Schweizer Geschichtstagen Zusammenhänge zwischen Naturkatastrophen und Politik: Und zwar am Beispiel der grossen Überschwemmungen und Waldrodungen im 19. Jahrhundert. Nicht ohne Fingerzeig auf die aktuellen klimapolitischen Debatten legte Pfister dar, wie lange es dauern kann, bis eine Gesellschaft in diesem Bereich eine Wende herbeiführt. 

Pfister bei seinem Referat
Klimapolitik an den Schweizer Geschichtstagen: Umwelthistoriker Christian Pfister. Bild: bj

Die Plünderung der Wälder

Im frühen 19. Jahrhundert wurden in der Schweiz – und in ganz Europa – grosse Waldflächen gerodet, um den Brenn- und Bauholzbedarf der wachsenden Bevölkerung und Wirtschaft abzudecken. «Der Wald in den Alpen wurde regelrecht geplündert», so Christian Pfister. Um 1850 folgten grosse Überschwemmungen im Mittelland. Die scheinbare Verbindung zwischen der Abholzung der Gebirgswälder, den dadurch verursachten Erosionen und den folgenden Überschwemmungen wurde zunächst nicht thematisiert. «Nach dem Jahrhunderthochwasser 1852 verlangte die Öffentlichkeit Flusskorrektionen, nicht Aufforstung», so Pfister. In Naturkatastrophen sahen viele Menschen nach wie vor eine Strafe Gottes für ihre Sünden.

Einige Hydrologen und Forstwissenschaftler begannen in dieser Zeit die geltende Umweltpolitik zu kritisieren und wiesen auf mögliche Zusammenhänge zwischen der Waldrodung in den Bergen und den Überschwemmungen im Mittelland hin – etwa der Bernische Forstmeister Xavier Marchand oder Elias Landolt vom neugegründeten Schweizerischen Forstverein. In einer Denkschrift an den Bundesrat forderte Landolt 1856 eine nachhaltige Nutzung der Wälder: Nicht mehr Bäume schlagen als nachwachsen. Nach französischem Vorbild schlug er 1863 vor, der Staat möge Kahlschläge gegen Entschädigung enteignen und die Wiederaufforstung subventionieren.

Erst muss das Schlimme geschehen

Zunächst wurde aber nichts umgesetzt: Entsprechende Anträge versandeten im Nationalrat – bis zur verheerenden alpinen Überschwemmung von 1868: Die Katastrophe kostete 50 Menschenleben und richtete Schäden in der Höhe von 1,4 Milliarden Franken an. In seinem Aufruf an die Nation erklärte der Bundesrat, dem Wasser müsse mit der gleichen Entschlossenheit begegnet werden wie einem Angriff von aussen. «Mit dieser Rhetorik kündigte die Regierung an, die Vorschläge des Forstvereins allenfalls im Notrecht durchzusetzen», so Christian Pfister. 1874 übertrug die revidierte Bundesverfassung schliesslich dem Staat die Aufsicht über die Wasserbau- und Forstpolizei im Hochgebirge.

Über die Landesgrenzen hinaus

Fazit des Berner Umwelthistorikers: Lange Zeit liessen sich die Rodungsverbote nicht mit der Freiheit des Eigentums vereinbaren. Erst nach wiederholten Hochwasser zwischen 1850 und 1876 konnten Wissenschaftler erfolgreich eine neue, überzeugende Erklärung bieten und damit dem Forstgesetz den Weg ebnen. Diese Umweltdebatte wurde länderübergreifend geführt, zunächst in wissenschaftlichen Zeitschriften, später an internationalen Tagungen: «Die schweren Überschwemmungen im Alpenraum tragen – wie das Klima an sich – grenzüberschreitenden Charakter», so Christian Pfister.

Weiterführende Links

bj. Uber 500 Besucherinnen und Besucher, rund 180 Referierende aus über zehn Ländern: Die 1. Schweizerischen Geschichtstage vom 15. bis 17. März an der Uni Bern waren ein voller Erfolg: «Wir konnten den Reichtum der Schweizer Geschichtswissenschaft und ihre internationale Vernetzung zeigen – sowohl der Öffentlichkeit wie auch innerhalb des Fachkreises», so Brigitte Studer, Professorin am Historischen Institut der Uni Bern und OK-Mitglied. Das Ziel, diese Wissenschaft bekannter zu machen, sei erreicht worden. Die Schweizerische Gesellschaft für Geschichte will diese Veranstaltung regelmässig durchführen, in welchen Abständen ist gemäss Studer noch unklar.

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