Wenn Kleines ganz gross rauskommt

Nanotechnologie: Der Begriff steht für moderne Visionen, von der Medizin bis hin zur Industrie. Aber Kleinstteilchen bergen auch Gefahren – wie die Feinstaub-Problematik aufzeigt.

Von Bettina Jakob 09. Januar 2007

Solche Erfindungen tauchen gewöhnlich in Sciene-Fiction- Geschichten auf: selbstreinigende Fenstergläser und schweissfressende Sportsocken. Doch die beiden Produkte existieren tatsächlich – die Fenster werden mit Titandioxid behandelt, welches die kleinen Furchen im Glas auffüllt, und damit Wasser und Dreck richtiggehend abperlen lässt. Und in die Socken werden Silberpartikel eingearbeitet, die das Wachstum der übelriechenden Bakterien hemmen. Möglich macht solche Erfindungen die Nanotechnologie. Heute lassen sich Teilchen herstellen und kombinieren, die nur wenige Millionstel Millimeter gross sind, eben Nanometer (nm). Bildlich dargestellt, verhält sich ein 1 Nanometer grosses Zuckermolekül zur Grösse eines Apfels wie der Apfel zur Erde. Durch hochentwickelte Mikroskope eröffnet sich der Industrie und auch der Medizin eine neue Dimension: «Sie bietet Chancen, beinhaltet aber auch Risiken», so Peter Gehr, Professor am Anatomischen Institut der Uni Bern, der an einer Vortragsreihe des Forums für Allgemeine Ökologie referiert.

Nanoröhrchen entstehen in der Hochdruckkammer. (Bild: NFS Nanowissenschaften, Uni Basel)
Nanoröhrchen entstehen in der Hochdruckkammer. (Bild: NFS Nanowissenschaften, Uni Basel)

Die künstlichen und die natürlichen Nanoteilchen 

«Nanotubes», «Fullerene» oder «Buckyballs» – so heissen die künstlichen Miniteilchen. Die Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die durch einen Stromstoss in einer mit Kohlenstoffmolekülen gefüllten Hochdruckkammer hergestellt werden, sind die am häufigsten verwendeten Nanoteilchen – die länglichen Hohlzylinder sind sechsmal leichter, aber hundert mal belastbarer als Stahl. Verlockende Eigenschaften, solange die Teilchen, wie in den obigen Beispielen, gebunden sind. «Schwirren aber Nanopartikel frei durch die Luft, können sie für den Menschen gefährlich werden», so Gehr. Gehr weist auf die Tatsache hin, dass nicht nur künstlich hergestellte Nanoteilchen für den Menschen schädlich werden können, sondern vor allem die durch Verbrennungsvorgänge «natürlich» entstandenen, sogenannten ultrafeinen Partikel. «Wir kennen sie als kleinste Fraktion des Feinstaubes.» 

Die Modelle der «Nanotubes» und «Buckyballs» (Bild: NFS Nanowissenschaften, Uni Basel)
Die Modelle der «Nanotubes» und «Buckyballs» (Bild: NFS Nanowissenschaften, Uni Basel)

Von der Luft über die Lungenbläschen ins Blut 

Peter Gehr untersucht die zellulären und die molekularen Mechanismen in der Lunge, durch welche diese Kleinstteilchen in die menschlichen Zellen gelangen. «Auf der 140 Quadratmeter grossen Lungenoberfläche kommt das Blut in engste Nachbarschaft mit eingeatmeten Stoffen», erklärt der Lungenspezialist. Da die Schranke zwischen Lungenbläschen und Kapillarwand lediglich 1/50 der Dicke eines Frauenhaares beträgt und ein Phospholipid-Film zusätzlich die Oberflächenspannung herabsetzt, wirken «enorme physikalische Kräfte», die eine Aufnahme von Nanopartikeln begünstigen, so Gehr. Eine Übertragung von Kleinstpartikel über die Darmzotten oder gar über die Haut sei im Vergleich dazu viel geringer. 

Nanopartikel interagiert mit der DNA 

Die Resultate aus Gehrs Labor zeigen: «Die Teilchengrösse eines Partikels und nicht seine chemische Zusammensetzung entscheidet in erster Linie, ob er überhaupt vom Körper aufgenommen wird.» Für Kleinstteilchen von 100 Nanometer Durchmesser und kleiner scheint die Zellmembran kein Hindernis mehr zu sein; sie dringen auf noch unbekannte Art ins Zellinnere ein, während grössere Partikel noch von Makrophagen, den Fresszellen unseres Immunsystems, abgefangen und zerstört werden. Mittels konfokaler Mikroskopie (Lichtmikroskopie) und Elektronenmikroskopie hat Gehrs Team die Nanopartikel in den Zellen, ja gar in den Zellkernen, wo sich die Erbsubstanz befindet, nachgewiesen. «Welchen langfristigen Effekt die Teilchen auf das Gewebe haben, wissen wir noch nicht genau.» Es wird jedoch angenommen, dass Nanoteilchen mit der DNA interagieren und so eventuell eine Tumorbildung auslösen können. Beim Befall der Mitochondrien, den Energieproduzenten einer Zelle, resultiert eine erhöhte Produktion von Sauerstoffradikalen, welche die Zellen angreifen und allenfalls zum Absterben bringen können. 

Makrophage mit Nanopartikeln an der Zelloberfläche (grün, Pfeilspitzen) wie im Zellinnern (gelb, Pfeile).(Bild: Fabian Blank, Institut für Anatomie, Uni Bern)
Makrophage mit Nanopartikeln an der Zelloberfläche (grün, Pfeilspitzen) wie im Zellinnern (gelb, Pfeile).(Bild: Fabian Blank, Institut für Anatomie, Uni Bern)

Gemäss epidemiologischer Studien ist klar, dass sich Feinstaub negativ auf die Gesundheit auswirken kann. «Er kann zu einer erhöhten Mortalität aufgrund von Lungen- oder Herz-Kreislaufkrankheiten führen», so Gehr und mahnt: «Gerade beim Rauchen werden wieder und wieder gefährliche Teilchen eingeatmet.» Und: «Bei extremer Inversionslage im Winter, also nebliger, kalter Witterung wie im Januar 2006, sollte man das Joggen besser unterlassen, weil die Feinstaubkonzentration bis auf das Zehnfache steigt.»

Die Visionen der Medizin 

Künstliche Nanoteilchen warten im Gegensatz dazu mit vielen positiven Effekten auf – solange sie, wie Peter Gehr sagt «auf einer Oberfläche kleben»: Zinkoxid und Titandioxid können auf der Haut als UV-Blocker wirken und die Medizin verspricht sich von Kleinstpartikeln Erfolge in der Krebsbehandlung: In Deutschland werden bereits mit magnetisierbaren Eisenoxid-Molekülen Krebsbehandlungen durchgeführt; durch stimulierte Vibrationen im kranken Gewebe zerstören die Nanoteilchen die bösartigen Zellen.

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