Scheiden vor dem Altar

Bei der Trauung ist die Kirche dabei, bei der Trennung oft abwesend: Ein Scheidungsgottesdienst kann jedoch den Betroffenen enorm über die schmerzliche Zeit hinweg helfen, wie der Berner Theologe Andrea Marco Bianca in seiner Studie herausgefunden hat.

Von Bettina Jakob 11. September 2007

Am Anfang steht der Segen des Pfarrers, am Schluss oftmals das Urteil des Richters. Eheleute, die sich scheiden lassen, fühlen sich «als grössere Sünder als es Schwerverbrecher sind», gesteht ein Betroffener, der wie tausend andere im Gerichtssaal zu Ende brachte, was einst vor dem Altar geschlossen wurde. In der Schweiz werden mehr als die Hälfte aller Ehen geschieden – Grund genug für den Berner Theologen Andrea Marco Bianca zu untersuchen, ob nicht ein «Scheidungsgottesdienst» den würdigen Abschluss einer Liebe darstellen könnte.

Altar
Scheiden vor dem Richter – und vor dem Pfarrer? Bilder: istock

In seiner Dissertation fragte Bianca 700 Pfarrpersonen, wie sie einem kirchlichen Trennungsritual gegenüber stehen. Die Studie führte der Berner in einer Nordamerikanischen Hauptkirche durch, weil die bröckelnden Gotteshäuser Europas von den am Markt orientierten Kirchen in den USA neue Impulse bekommen könnten. «Ausserdem ist dort die Einbindung der Pfarrleute in die Mediation fortgeschrittener ist als hier.» Eine für den Forscher persönlich wichtige Entwicklung: «Zerbricht eine Ehe brauchen die Scheidenden eigentlich mehr Unterstützung als beim Schliessen des Ehebundes. Und zwar nicht nur durch Seelsorge, sondern auch durch einen offiziellen Akt.»

Was sagt die Bibel?

Die Resultate der Studie erstaunen: 6,2 Prozent der befragten Pfarrerinnen und Pfarrer hielten bereits selber Scheidungsgottesdienste und fast 30 Prozent machten sich schon einmal Gedanken über eine etwaige Durchführung. Je knapp ein Fünftel hat entweder nicht vor, eine kirchliche Trennung durchzuführen oder hat sich darüber (noch) keine Meinung gebildet. «Im Vordergrund der Kritiker stehen wie erwartet theologische Bedenken», so Bianca. Es fehle die biblische Grundlage: «Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden», schreibt Markus in seinem Evangelium. Unbeachtet bleibt gemäss Bianca bei dieser Argumentation, dass die Bibel gleichzeitig auch Ausnahmen auflistet: Bei sexuellem Fehlverhalten ist gemäss Matthäus nämlich eine Trennung erlaubt, laut Paulus auch dann, wenn die Ehepartner nicht den gleichen Glauben pflegen.

Emotionen ändern sich beim Ritual

Die Diskussion über Scheidungsgottesdienste soll aber nicht in einem dogmatischen Seilziehen enden. Für Andrea Marco Bianca sind in die Thematik weit mehr Disziplinen als lediglich die Theologie involviert. «Die Psychologie zum Beispiel beweist mit empirischen Daten, dass mit einer tiefgründig verarbeiteten Scheidung die Wahrscheinlichkeit steigt, dass eine neue Beziehung glücklicher verläuft.» Offenbar hat ein Scheidungsritual zusätzlich einen direkten Einfluss auf die Emotionen der Betroffenen, wie Bianca herausfand. Die interviewten Pfarrleute gaben an, bei 80 Prozent der Betroffenen nach dem Trennungsritual positive Gefühlsveränderungen festgestellt zu haben: Die angespannte Situation verwandelte sich in einen «stressreduzierten Zustand der Endgültigkeit», schreibt Bianca in seiner Dissertation. Unsicherheit, Wut, Depression weichen der Selbstannahme, der Hoffung, der Akzeptanz.

Der Berner Theologe ist überzeugt, dass ein offizielles Ritual zur Heilung und zum Wachstum der Betroffenen beitragen kann. Auch die oftmals sehr belastende Schuldfrage könne dadurch gelöst werden: «Ein Mensch kann Vergebung, die von einer höheren Instanz ausgesprochen wird, eher annehmen, als jene, die er sich selber zuspricht», so Bianca.

In 8 Schweizer Kantonalkirchen erlaubt…

Die Untersuchung fand in Amerika statt, doch auch in der Schweiz werden Scheidungsgottesdienste durchgeführt – und zwar mit kirchenrechtlichem Segen: Ein Drittel der Schweizerischen Kantonalkirchen, darunter auch Bern, hat «Gottesdienste in besonderen Lebenslagen» Ende der 90er Jahre in ihrer Kirchenverordnung verankert; will eine Pfarrerin oder ein Pfarrer einen Scheidungsgottesdienst halten, bedarf er nur noch der Einwilligung des Kirchgemeinderates. «Die Möglichkeit, vor dem Altar zu scheiden, ist vielerorts anerkannt – aber noch unbekannt», so Bianca. Auch er, Pfarrer in Küsnacht, hat schon Trennende gesegnet.

…in St. Gallen mit offiziellem Liturgie-Vorschlag

Die reformierte Kirche St. Gallen geht sogar noch weiter: Sie stellt einen offiziellen Liturgie-Vorschlag für einen Scheidungsgottesdienst zur Verfügung, der erste im deutschsprachigem Raum. Im vorgeschlagenen Ablauf folgt auf Grusswort, Begrüssung, Gebet, Schriftlesung schliesslich ein Ritual, bei dem sich die Scheidenden den Ehering zurückgeben, Rückschau auf die gemeinsamen Jahre halten, sich die Hand reichen, danken und verzeihen und einander schliesslich loslassen. Ein Gebet soll Trost beim Abschied spenden. Etwa so: «Was war, wird nicht mehr sein, aber dass es war, kann mir niemand rauben.»

Oben