Doppelte Krisenbewältigung
Eigentlich wollte die Ethnologin Kathrin Thurnheer untersuchen, wie die Bevölkerung den Krieg bewältigt. Dann kam die grosse Flut. Jetzt müssen die Menschen in Sri Lanka mit zwei Katastrophen fertig werden. Die Sommerserie des «uniaktuell» präsentiert Projekte der Uni Bern im Ausland.
«Das einzig Positive am Tsunami war, so heisst es, dass sich die Menschen gegenseitig geholfen haben – und zwar ungeachtet ihrer religiösen und ethnischen Herkunft.» Kathrin Thurnheer weiss, wovon sie spricht: Im Jahr 2004 war die Berner Ethnologin im Osten Sri Lankas unterwegs, um zu untersuchen, wie die Bevölkerung die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den «Tamil Tigers» und den Regierungstruppen bewältigt. An Weihnachten kam der Tsunami, viele Menschen starben, viele flüchteten. Als Thurnheer im darauffolgenden Februar ihre Feldforschung wieder aufnahm, hatte sich ihre Fragestellung grundlegend geändert: Die Naturkatastrophe hatte den kriegerischen Konflikt in den Hintergrund gerückt – es ging ums nackte Überleben.
Als ob der Krieg nicht genug wäre: Der Tsunami verschärfte die Krise in Sri Lanka. (Bilder:zvg)
Doch die Solidarität der ehemaligen Feinde war nicht von langer Dauer. Im Gegenteil: Manche nutzten das Chaos, um ihre Feinde zu ermorden. Auch auf der politischen Ebene funktioniert die Zusammenarbeit nicht: «Die Regierung und die ‹Tamil Tigers› können sich bis heute nicht einigen, wie die Hilfsgüter verteilt werden sollen», stellt Thurnheer nüchtern fest.
Fast zwei Jahre vor Ort
Die Feldforschung der Bernerin ist Teil eines vom Nationalfonds geförderten Projekts des Instituts für Sozialanthropologie. Dabei geht es um «Sozialstruktur und Geschlechterbeziehungen nach Krieg und Zerstörung» anhand von Beispielen in Bosnien-Herzegowina und eben Ost Sri Lanka. Im Zentrum der Studie steht die Frage, wie Familien Krisensituationen bewältigen. Insgesamt hat Kathrin Thurnheer fast zwei Jahre in Sri Lanka verbracht, zuletzt im Frühling dieses Jahres. Das nur von Tamilen bewohnte Dorf bestand vor dem Tsunami aus 440 Häusern (so genannten «housing units»), danach lebten noch rund 370 Familien in provisorischen Unterkünften. Mit 20 davon hatte Thurnheer engen Kontakt, besonders zu den weiblichen Familienmitgliedern. Bei den Befragungen arbeitete sie mit einer Übersetzerin. «Ich habe zwar etwas Tamilisch gelernt – aber für eine solche Studie reicht es nicht aus», so Thurnheer. Zurzeit ist sie damit beschäftigt, die Daten für ihre Dissertation auszuwerten.
Langsam kehrt das Leben zurück, langsam entstehen wieder Siedlungen.
Die provisorischen Unterkünfte sind mittlerweile einer neuen Siedlung gewichen. Zurzeit ziehen die Familien in die neuen Häuser ein. Nächstes Jahr will Kathrin Thurnheer das Dorf erneut besuchen – einerseits um ihre Resultate mit den Betroffenen zu diskutieren, nicht zuletzt aber auch, weil sie persönliche Beziehungen zu den Menschen dort aufgebaut hat. «Es ist mir wichtig, zu wissen, wie es ihnen geht», sagt sie.