Wer(s) glaubt

«Aller gattig Ruschtig» ist im Kanton Bern zu finden. Auch in Sachen Religion. Die Religionswissenschaftler der Universität Bern versammeln alle Glaubensrichtungen – in einem Buch von rund 400 Seiten.

Von Bettina Jakob 01. März 2007

Jesus-Freaks, Buddhisten im Kloster Kandersteg, Quäker, Syrisch-Orthodoxe, Raelianer, Evangelische Täufer, Katholiken, Mormonen in Zollikofen und so weiter: Im Bernbiet sind allerhand Glaubensrichtungen vertreten. Aufgelistet nehmen sie bei einer 12-Punkt-Schrift fünf A4-Seiten in Anspruch. «Ich habe sie bis jetzt noch nicht gezählt», gesteht Stefan Rademacher. Der Religionswissenschaftler an der Uni Bern trägt «alle religiösen Gruppierungen in Bern zusammen, von denen wir wissen, dass es sie gibt». Und das sind vielleicht noch nicht alle: «Möglicherweise gibt es Gruppen, die wir gar nicht kennen, insbesondere solche von Migrantinnen und Migranten.» Innert Kürze wird die Sammlung als Handbuch der Religionen im Kanton Bern erscheinen. Ein stolzes Buch: Rademacher rechnet mit einem Wälzer von rund 400 Seiten.

Zwei Arme vor Himmelshintergrund mit zueinander ausgestreckten Zeigefingern, die sich beinahe berühren und zwischen denen der Funke überspringt
Der göttliche Funken springt im Kanton Bern auf mannigfaltige Weise über. Bild: istock

Der freikirchliche Wind in Bern

«Bern war schon immer ein besonderer Ort», so Stefan Rademacher. Man denke nur an die Täuferbewegung im 16. Jahrhundert, die mit den Mennoniten bis heute überlebt hat. Auch der Geist anderer Freikirchen wehte gemäss Rademacher in Bern besonders stark, etwa durch die Täler des Emmentals und über die Grate im Berner Oberland. Ansonsten weicht der Kanton in seiner Religionslandschaft «nicht sonderlich ab», wenn man ihn mit den Städten Zürich, Basel und Fribourg vergleicht, für die schon eine entsprechende Sammlung besteht.

Auch zu Berlin gibt es keine grosse Differenz, wo der Wissenschaftler bereits ein Religions-Handbuch erstellt hat: «Qualitativ gibt es kaum Unterschiede, einzig quantitativ», so Rademacher: «Rund die Hälfte der Berlinerinnen und Berliner ist religionslos, im Kanton Bern hingegen sind etwa 90 Prozent der Menschen in irgendeine Religionsgemeinschaft eingebunden.» Eine Tatsache, die der Religionswissenschaftler auf Traditionen zurückführt. Als allgemeine Tendenz vermutet der Forscher jedoch, dass die Zahl der nicht-religiösen Menschen – in Europa und auch in Bern – zunimmt; gleichzeitig werde aber die Vielfalt der Glaubensgruppierungen grösser: «Wir leben in einer Zeit eines immer stärker werdenden Individualismus.»

Immer wieder neue Gruppierungen

Die älteste, bis heute präsente Religion in Bern ist das Christentum, aber auch Juden waren gemäss Rademacher schon sehr früh vertreten. Und welches ist die jüngste Berner Religion? «Vielleicht wird gerade jetzt irgendwo im Mittelland eine neue Migrantenkirche gebildet», meint der Religionswissenschaftler. «Die kleinen Aufsplitterungen innerhalb einer traditionellen Kirchlichkeit treten regelmässig auf und sind kaum zu erfassen.» Oft seien dies erst nur Gruppen, die private Gottesdienste feierten und mit der Zeit eine neue Organisation repräsentierten.

Nicht gegeneinander – sondern miteinander

Das Handbuch ist an ein interessiertes, breites Publikum adressiert. «Eine Informationsschrift, die aufklären und Angst nehmen soll», wünscht sich Stefan Rademacher. Der Religionswissenschaftler kann zum Beispiel der Panikmache gegen die «eindringenden» Muslime nichts abgewinnen: «In Langenthal wehren sich einzelne Gruppen vehement gegen den Bau eines Minaretts, während kürzlich gleicherorts ohne Probleme ein imposanter Sikh-Tempel errichtet wurde.» Der Slogan «Hilfe die Muslime kommen!», sei überholt. «Sie sind längst da – und jeder Tag zeigt, dass ein Zusammengehen der verschiedenen Religionen grundsätzlich gut funktioniert», sagt der Religionswissenschaftler.

Stellt das Buch auch Sekten vor?

Viel Toleranz für alle Glaubensrichtungen – auch für die sogenannten Sekten, Herr Rademacher? Im Handbuch werden auch umstrittene Gruppen wie Scientology und Falun Gong aufgeführt. «Der Begriff ‹Sekte› gilt in den Religionswissenschaften als Diffamierung», erklärt Stefan Rademacher, «wir nehmen auch Gruppen ins Buch auf, die in der Gesellschaft als schwierig betrachtet werden.» Genau so würden diese Gruppierungen im Buch auch vorgestellt: «Wir schreiben, was ihnen die Öffentlichkeit vorwirft, nehmen selber aber keine kommentierende Haltung ein», stellt Rademacher klar und fährt damit gut: Die Scientologen haben seinen Entwurf erhalten, das Attribut «umstritten» im Beschrieb wurde akzeptiert. Da machte der Religionswissenschaftler gleich die Probe aufs Exempel: Auch der Schweizer Journalist und Sekten-Experte Hugo Stamm hat Rademachers Text über die Scientologen gelesen – und gutgeheissen.

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