Wie man sich über Wasser hält

Das einzig Gute an einer Katastrophe ist: Man kann daraus lernen. Das zeigt der Berner Umwelthistoriker Guido Poliwoda am Beispiel von Überschwemmungen im 18. Jahrhundert. Seine Tipps für ein besseres Katastrophen-Management erscheinen dieser Tage in Buchform.

Von Bettina Jakob 08. Mai 2007

Als der Umwelthistoriker Guido Poliwoda wieder mal in der Vergangenheit recherchierte, stellte er erstaunt fest, dass darin die Zukunft liegen könnte. Der Wissenschaftler an der Uni Bern untersuchte Dokumente über die Hochwasserfluten der Elbe im Zeitraum von 1784 bis 1845 – und zieht folgende Quintessenz daraus: «Aus historischen Katastrophen kann man lernen – auch heute noch.» Sein Buch, das brandneu in den Regalen liegt, zeigt nämlich auf, dass die Menschen in Sachsen vor über 200 Jahren besser gegen Hochwasser gewappnet waren als die heutige Gesellschaft mit ihrer modernen Technologie. Poliwoda ist überzeugt, dass heute vielerorts ein funktionstüchtiges Katastrophen-Management fehlt – sei es nun in Dresden oder in Bern – welches in früheren Zeiten Menschenleben und Güter rettete. 

Zeichnung einer Elbeflut
Schon in der Vergangenheit trat die Elbe über die Ufer – wie alte Dokumente belegen. Bild: Zvg

Das Gute am Schlimmen

Die Bilder überfluteten TV-Sendungen und prägten die Titelseiten der Zeitungen: Gebrochene Dämme, hunderte von Höfen unter Wasser. Im August 2002 wurde Sachsen regelrecht überschwemmt, es gab 21 Tote, unzählige Überlebende konnten sich auf die Dächer retten. «Kein historisch belegtes Hochwasser erreichte je das Ausmass dieser Sintflut», bestätigt Poliwoda. Allerdings, so betont der Berner Forscher, trat früher die Elbe praktisch allwinterlich über die Ufer – viel öfter als im 20. Jahrhundert, wie die Zahlen des Dresdener Elbpegelmeters belegen (siehe Grafik). Zudem brachten die Winterfluten im Gegensatz zu den heutigen Sommer-Hochwassern wuchtige Eisschollen mit, welche alles dem Erdboden gleich machten. «Die Gesellschaft war vor 200 Jahren viel stärker von den Hochwassern betroffen als heute», so der Umwelthistoriker. Und genau darin vermutet der Forscher den Keim zum erfolgreichen Selbstschutz, wie er am Beispiel des Einzuggebietes der Elbe aufzeigt: «Je schlimmer und regelmässiger die Katastrophe, desto nachhaltiger der Lerneffekt.» 

Balkendiagramm zur Häufigkeit der Elbenfluten von 1500 bis 2000
Von 1784 bis 1845 trat die Elbe regelmässig und oft über die Ufer – im Gegensatz zum 20. Jahrhundert.

Die frühreren Massnahmen …

In seinem Buch trägt Guido Poliwoda die Hochwasserschutz-Massnahmen zusammen, welche die sächsische Regierung ab 1784 ergriff und effizient umsetzte: Sie zog ein Kanonen-Warnsystem entlang der Elbe auf, die Holzhändler räumten ihre Baumstammlager vom Wasser weg. In einem weiteren Schritt richteten die Gemeinden Fonds ein, um den Dammbau zu finanzieren. Ab 1826 trat eine landesweite Bekanntmachung in Kraft, welche das Verhalten der Bevölkerung, der Rettungsvereine, des Militärs und der Polizei im Notfall gesetzlich regelte und Zuwiderhandlungen büsste. Das erfreuliche Resultat der Bemühungen: Bei der zweitgrössten Überschwemmung der Geschichte im Jahr 1845 ertrank niemand, und in vielen Briefen dankten zufriedene Uferbewohner der Dresdener Kreisdirektion für ihren Einsatz – ein ganz anderes Echo als die Klagen, die nach dem letzten Hochwasser 2005 in der Berner Matte zu hören waren.

… und die heutigen Mängel

Der Umwelthistoriker bemängelt die heutige Situation in Politik und Verwaltung sowohl in der Schweiz wie in Deutschland: «Zu sehr wird über den Klimawandel geredet, statt über die Bewältigung seiner Auswirkungen.» Um eine Krise erfolgreich zu meistern, sollten sich gemäss Poliwoda Behörden, Meteorologen, Polizei und Feuerwehr noch besser vernetzen. «Besonders im Zeitalter des Handys könnte die Kommunikation innovativer gestaltet werden», so der Umwelthistoriker. Organisation, Koordination und Führung müssten im Hochwasserschutz klar definiert sein. Die Bevölkerung sei ausserdem ausreichend zu sensibilisieren und zu informieren, was im Notfall zu tun sei. «Sie erinnern sich, dass beim Matte-Hochwasser viele Leute ihre Wohnungen nicht verlassen wollten», sagt Poliwoda, «sie hatten keine Ahnung, welches Verhalten adäquat ist.» Seine Empfehlung für einen erfolgreichen Hochwasserschutz: «Nachsorge ist gut, doch Prävention ist besser.»

Auch wenn es uns anders erscheint: Im 20. Jahrhundert traten vergleichsweise wenige Hochwasser auf, die Gesellschaft konnte keine Erfahrung sammeln, keine Routine in Notfällen entwickeln wie ihre Vorfahren an der Elbe. «Somit wird das Katastrophenmanagement zum Wettlauf gegen das Vergessen», meint der Umwelt-Wissenschaftler. 

Das Buch

«Aus Katastrophen lernen – Sachsen im Kampf gegen die Fluten der Elbe 1784 bis 1845». Ein Buch von Guido Nicolaus Poliwoda, erschienen beim Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien. ISBN 978-3-412-13406-8.

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