Wikipedia an der Uni: Verpönt, aber rege genutzt

Schnelles Wissen ohne grosse Recherche: «Wikipedia» hat eine riesige Anhängerschaft, birgt aber für die Wissenschaft einige Gefahren. Nando Stöcklin von «Wikimedia CH» über die (Un-)Möglichkeiten des Online-Lexikons.

Interview: Bettina Jakob 28. September 2007

«uniaktuell»: Wikipedia ist eine freie Enzyklopädie, bei der jedermann munter mitschreiben darf. So verschönte etwa «Weltwoche»-Chef Roger Köppel kürzlich sein Curriculum. Kann solches Wissen vertrauenswürdig sein?
Nando Stöcklin: Grundsätzlich ist Wikipedia genauso so verlässlich wie andere Enzyklopädien – etwa «Brockhaus». Das haben Vergleiche dreier unabhängiger Institute ergeben. In der Sache «Köppel» geht in der Medienberichterstattung leider immer wieder unter, dass die Änderungen sehr schnell rückgängig gemacht worden sind…


Schnell und praktisch: Bei Studierenden ist «Wikipedia» beliebt. (Bild:bj)

Also ist sein Lebenslauf wieder korrekt – wie kann Wikipedia die Korrektheit seiner Beiträge garantieren?
Wir können gar nichts garantieren. Allerdings werden alle vorgenommenen Änderungen registriert. Durch Überwachung können insbesondere «unsichere» Einträge von unangemeldeten Besuchern auf mögliche Fehler überprüft – und falls nötig – korrigiert werden.

Überwachung in einem für alle zugänglichen Online-Produkt? Wie funktioniert denn das?
Hunderte von ehrenamtlich Tätigen bei der deutschsprachigen Wikipedia überwachen die Inhalte: Wer bei Wikipedia ein Benutzerkonto anlegt, kann sich eine Beobachtungsliste von Artikeln zusammenstellen, die er überwachen möchte. Wird in einem dieser Beiträge eine Änderung vorgenommen, wird der selbsternannte Betreuer benachrichtigt. Ich persönlich zeichne für 1300 Einträge verantwortlich; online verfügbar sind zur Zeit rund 650'000.

Dennoch: Fehler können lange Zeit unentdeckt bleiben…
Stimmt. Eine Erweiterung der Software soll ungefähr ab November Abhilfe schaffen: Neue Änderungen in den Texten werden vorerst im Hintergrund gespeichert und nur dann freigegeben, wenn ein vertrauenswürdiger Nutzer den Beitrag durchgesehen hat. Das ergibt eine Zeitverzögerung, dafür mehr Qualität.

Qualität – wie wollen Sie die Studierenden am Wikipedia-Tag davon überzeugen? Wikipedia ist in akademischen Kreisen eher verpönt.
Fakt ist: Wikipedia wird häufig genutzt, sowohl von Studentinnen und Studenten als auch von Dozierenden. Wir wollen ihnen die Möglichkeiten und den Aufbau dieser freien Enzyklopädie aufzeigen, aber sie auch auf die Grenzen hinweisen.

Eine Grenze ist die Quelle: Die Wissenschaft basiert auf der genauen Quellenangabe der Informationen, derer sie sich bedient. In Wikipedia können die Autorinnen und Autoren anonym Beiträge verfassen.
Wir fordern die Studierenden nicht auf, aus Wikipedia zu zitieren. Auch aus anderen Enzyklopädien wird schliesslich in wissenschaftlichen Arbeiten nicht zitiert. Wikipedia soll einen Einstieg in eine Thematik bieten, fundierte Informationen müssen nach wissenschaftlichen Kriterien gesucht werden.

Worin liegt denn der durchschlagende Erfolg von Wikipedia?
Das Geheimnis ist die völlige Offenheit von Wissen: Jeder kann etwas eintragen und sich bedienen.

Zur Person

Nando Stöcklin arbeitet bei der PHBern und ist Vorstandsmitglied bei «Wikimedia CH». Der Verein unterstützt Projekte für freies Wissen, unter anderem das deutschsprachige Wikipedia. Wikipedia wurde 2001 gegründet und ist heute in hunderten von Sprachen im Internet verfügbar. Nach dem englischsprachigen Wikipedia mit über 2 Millionen Beiträgen liegt das deutschsprachige mit rund 650’000 Einträgen an zweiter Stelle.

Wikipedia an Uni Bern

«Wikipedia» stellt die Wissenschaft vor einige Fragen: Dürfen Studierende oder Forschende der Uni Bern zum Beispiel aus der freien Enzyklopädie zitieren? «Eine schriftliche Weisung gibt es nicht», sagt Generalsekretär Christoph Pappa. Grundsätzlich stellt aber das Reglement der wissenschaftlichen Lauterkeit klar, dass Zitate ohne Angabe der Quelle nicht erlaubt sind. Gemäss Dekan Paul Messerli ist das Zitieren aus «Wikipedia» an der phil-nat. Fakultät erlaubt, aber nur wenn nachfolgend auch wissenschaftliche Referenzen angegeben werden. «Wikipedia» habe zwei Seiten – die der «Blackbox» mit unklarem Inhalt und die der «Inspirationsquelle». Dekanin Karenina Kollmar-Paulenz geht davon aus, dass «Wikipedia» an den meisten Instituten der phil-hist. Fakultät als Quelle abgelehnt wird. «Wikipedia ist zwar eine gute Sache, aber wissenschaftlich nicht zitierfähig», so Kollmar-Paulenz; darauf weise sie ihre Studierenden bereits in den Vorbesprechungen von Arbeiten hin.

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