Wildtiere widerspiegeln den Zustand der Umwelt

Bei der Gämse wurde ein neuer Blutparasit nachgewiesen. Stellt sich die Frage, ob Umweltveränderungen seine Ausbreitung begünstigen. Am Montag, 29. Oktober, findet der Berner Umweltforschungstag statt.

Von Bettina Jakob 26. Oktober 2007

Die Krankheit war bei Gämsen noch nie beobachtet worden. Bis vor gut zwei Jahren die erste tote Gämse im Tössstock-Gebiet gefunden wurde – mit den Symptomen Blutarmut, gelbverfärbte seröse Häute, geschwollene Milz. Eine Analyse im Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin an der Uni Bern und am Institut für Parasitologie in Zürich ergab eine Infektion mit einem Babesia divergens-ähnlichen Blutparasiten. «Babesia divergens wird durch Zecken übertragen und ist in Europa als Verursacher der Rinderbabesiose bekannt», so die Berner Tierärztin Marie-Pierre Ryser-Degiorgis. Kurz nach den infizierten Gämsen in den Töss-Bergen traten weitere Fälle auf, auch im Berner Oberland. «Wir fanden den Erreger bei insgesamt fünf toten Gämsen», so Ryser-Degiorgis.

Zwei Gämsen
Gämsen haben mit einem neuen Parasiten zu kämpfen. Bild: istock

Die Berner Wildtierpathologen fragen sich nun, ob vielleicht ein Zusammenhang zwischen dem anscheinend neuen Vorkommen von Babesia bei der Gämse und den sich ändernden Umweltbedingungen bestehen könnte. Am Berner Umweltforschungstag der Interfakultären Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (Ikaö) vom kommenden Montag referiert Forscherin Marie-Pierre Ryser-Degiorgis über «Wildtiere als wichtige Indikatoren für das Gesundheitswesen».

Begünstigt Klimawandel die Ausbreitung?

Tierärztin Ryser-Degiorgis rekapituliert die Untersuchungen am Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin an der Uni Bern: Erst nahmen die Forscher an, die Zecken hätten diese Babesien von Rindern auf die Gämsen übertragen. Labortests an Kühen in den betroffenen Gebieten ergaben aber keinen Befund. «Positiv getest wurden schliesslich viele Rehe», so Ryser-Degiorgis: Bei 30 Prozent der untersuchten Tiere konnten die Pathologen die Parasiten nachweisen. Da alle infiziierten Rehe aber gesund und munter waren, vermuten die Forschenden, dass die Rehpopulation als Reservoir für diese Babesien dienen, ohne selber zu erkranken.

An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob allenfalls klimatische Veränderungen vermehrt Kontakte zwischen Gämsen und den übertragenden Zecken zur Folge haben: Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) meldet einen Anstieg der durch die Zecken übertragene Enzephalitis beim Menschen. Liegt der Grund in einer Vermehrung der Zecken? Klar ist, dass mildere Winter und feuchtere Sommer für Parasiten ein angenehmeres Milieu bieten. Doch ob sich dadurch die Zecken weiter ausbreiten – auch in höhere Lagen, wo sie schliesslich die Gämsen mit Babesien anstecken, sind nur Vermutungen.

Haustiere und Menschen schützen

Das Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin an der Uni Bern überwacht im Auftrag des BAFU die Gesundheit der Schweizer Wildtiere. In den Augen Marie-Pierre Ryser-Degiorgis eine wichtige Aufgabe: Wildtiere seien allen Umweltfaktoren ungeschützt ausgesetzt. Veränderten sich einzelne Parameter, könne eine darauffolgende Reaktion der Tiere ein wichtiger Bioindikator für den Zustand der Umwelt sein. «Und damit auch Haustiere – und nicht zuletzt den Menschen schützen.»