Berndeutsch im Hörsaal
Die literarischen Lesungen des Collegium Generale loten die Grenzen zwischen Hochdeutsch und Mundart aus – und verlassen damit das traditionelle Gebiet der schönen Literatur. Erste Kostproben lieferten Beat Sterchi und Pedro Lenz, welche die Reihe mit konzipiert haben.
Dass dieser Text auf Hochdeutsch geschrieben ist, ist eigentlich schon ein Fehler: Um dem Thema gerecht zu werden, dem sich die Berner Autoren Pedro Lenz und Beat Sterchi im wahrsten Sinn des Wortes «verschrieben» haben, «müessti das dahie eigetlech uf Bärndütsch zläse si.» Zum Auftakt der aktuellen Veranstaltungsreihe des Collegium Generale «In unserem Kopf ist Platz für viele Sprachen: Hochsprachen und Mundart» machte der Veranstaltungsleiter, Peter Rusterholz deutlich, wie ernst es ihm mit der Mundart ist. Entgegen aller universitärer Traditionen und Gepflogenheiten, wurde in dieser Stunde (fast) nur Dialekt gesprochen.

Die Grenzen der Mundart
Die gesprochene Sprache ist das eine, die geschriebene – und somit zur Literatur erhobene – das andere. Pedro Lenz und Beat Sterchi, die beiden Autoren der Gruppe «Bern ist überall» sehen diese Trennung – Dialekt für die Niederungen des Alltags, Hochdeutsch für die hohe Literatur – allerdings nicht gerne, und praktizieren sie schon gar nicht. «Früher hat man sich oft den Kopf darüber zerbrochen, welches Niveau ein Text haben muss, um als Literatur zu gelten. Uns bekümmert das nicht», stellte Pedro Lenz lakonisch fest. Vor allem deshalb nicht, weil Lenz und seine Autorenkollegen nicht von den letzten Gewissheiten, von den grossen intellektuellen Würfen und tiefen philosophischen Einsichten schreiben wollen, sondern «vom Hier und Jetzt», wie Beat Sterchi sagt. «Und wenn man vom Hier und Jetzt schreibt, ist man gut beraten, die Eigenheiten einzusetzen, welche die Mundart bietet.» So hat er es natürlich nicht gesagt – schliesslich handelt es sich hier um einen hochdeutschen Text und somit um eine Übersetzung ins «Schriftdeutsche» oder wie Gotthelf gesagt haben würde, ins «Schön-Deutsche».
Bedeutet das, dass man nur so schreiben soll, wie man spricht? Nicht immer, so Sterchi. Es gibt nämlich Grenzen des Mundart-Schreibens. Als Beispiel zitierte er einen kurzen Text über «Das Widerwillige» – ein reflektierendes Porträt: «Das hätte ich unmöglich ins Berndeutsche fassen können», so Sterchi. Andererseits gibt es auch Grenzen des Deutschen – wie Pedro Lenz anschaulich schilderte. «Wenn ich Milieuschilderungen auf Hochdeutsch schreiben möchte, weiss ich nicht wie – weil ich die Leute einfach nicht reden höre. Es tönt dann wie auf RTL oder bei Jerry Cotton.» Oder so wie in einem Bühnenstück, das Beat Sterchi kürzlich gesehen hat. Es ist ein Stück über Auswanderer aus dem Kanton Glarus. «Auf dem Schiff sagen sie plötzlich: ‹Schnauze›. So spricht doch kein Glarner», sagt Sterchi.
Den Leuten aufs Maul geschaut
So spricht auch kein Sterchi und kein Lenz. Denn beide haben sich eine Devise in ihr literarisches Stilbüchlein geschrieben: Sie suchen die «Nähe zu den Leuten». Und diese Nähe stellt sich ein, wenn man die Sprache, die man (er)lebt, auch schreibt. Oft ist dies Hochdeutsch, die Schriftsprache, mit der Schweizerinnen und Schweizern aufwachsen, lesen und schreiben lernen. Oft ist es die Mundart – zum Beispiel bei Beat Sterchis Schilderung des ewig gleichen, alltäglichen Gangs in die diversen Supermärkte oder in Lenz’ ‹Spoken Word› Monologen. Ob Mundart oder Hochdeutsch – für die beiden Autoren gilt, was Lenz in die Worte fasst: «Ich plädiere für die Unreinheit der Sprache.» Da haben dann eben auch Wörter wie «sorry» oder «smslen» Platz. Beat Sterchi, der unter anderem Schreibwerkstätten mit Jugendlichen durchführt und sie in ihrer jeweiligen Muttersprache oder eben auch den Mischformen schreiben lässt, bringt es auf die Formel: «Unser Sprachverständnis ist globalisiert und anarchistisch.» Eine Definition, die vielleicht für die hehre Universität doch etwas zu flapsig ist. In der Übersetzung des Literaturprofessors Peter Rusterholz klingt das so: «Sich allen Kulturen öffnen, aber von der eigenen ausgehen.»