Über Mauern springen mit Philosophie
Sie klettern und hechten über alles, was sich ihnen in den Weg stellt. An erster Stelle steht bei den «Parkour»-Begeisterten jedoch nicht das Cool-Sein sondern die richtige Selbsteinschätzung. Der Berner Unisport bietet nun erstmals einen Kurs in dieser Bewegungskunst an.
Er stellt gleich klar, was «Parkour» nicht ist: «Es geht nicht um Show», sagt Roger Widmer. Nein, hinter dem Quer-durch-die-Stadt-rennen und an Fassaden raufklettern, über vier Meter hohe Mauern springen und über Geländer hüpfen steckt viel mehr als eine Trendportart mit beeindruckenden Figuren. «Es geht darum, mit den eigenen Ressourcen den effizientesten und ökonomischsten Weg von A nach B zu finden.» Der gelernte Goldschmied ist einer der wenigen «Parkour»-Trainer der Schweiz; Widmer und sein Team bieten in Münsingen «Parkour» neu auch als Unisport-Kurs an. «Die Nachfrage ist so gross, dass wir nun die Trainingsplätze verdoppeln», sagt Simone Büchi, zuständige Bereichsleiterin beim Universitätssport Bern.

Roger Widmer beim Training: Der «Traceur» aus Münsingen ist auf «Parkour» durch einen Spielplatz. (Foto: Fabian Unternährer/zvg)
«Traceure»: Die den Weg ebnen
«‹Parkour› ist aber nicht neu, sondern so alt wie die Menschheit», sagt Roger Widmer: Es ist nämlich die natürliche Art, sich in seiner Umgebung schnell und sicher zu bewegen. In den urbanen Bereich übertragen – und dadurch schliesslich berühmt – wurde die Bewegungskunst in den 1980er Jahren: David Belle aus Paris ist der Begründer von «Parkour», seine Videos der von Dach zu Dach hechtenden «Traceuren» – «die den Weg ebnen» – gingen um die Welt. Gelernt hatte Belle die technischen Elemente von seinem Vater, einem Vietnam-Soldaten. Auch die Pariser Feuerwehr trainierte ähnliche Bewegungsabläufe: «Damit sie im Ernstfall reflexartig richtig und schnell reagieren können», so Roger Widmer.
Ängste auch im Alltag überwinden
«Parkour» ist also viel mehr als ein Extremsport, dahinter steckt Philosophie: «Im Training lernen wir unsere Fähigkeiten kennen, die Stärken und die Schwächen», sagt Widmer, und ein Traceur kann das eine von dem anderen unterscheiden. Ziel des Unisport-Kurses ist also nicht, alle möglichen Bewegungen zu beherrschen, «sondern zu wissen, was man kann und was nicht», so Widmer. «Selbstkompetenz» heisst das eine Schlagwort, das andere «Ängste abbauen». Das «Parkour»-Training soll vor der hohen Mauer, aber auch beim Vorstellungsgespräch nützlich sein – beides sind Hindernisse, die laut Widmer mit der gleichen mentalen Stärke überwunden werden können.
Kurs findet in Münsingen statt
Sport und Tiefenpsychologie statt Akrobatik und Show: Der Montagabend in der Landwirtschaftsschule in Münsingen ist vielleicht weniger spektakulär als sich einige vorerst vorgestellt haben. Geschult werden im Unisport-Kurs Gleichgewicht, Koordination, Kraft. Und vielleicht schafft der Eine oder Andere den Sprung auf die Drei-Meter-Mauer hinauf oder die freche Hechtrolle übers Geländer. Wenn nicht, ist das nicht unbedingt schlecht: «Vielleicht hat er sich einfach richtig eingeschätzt», so Roger Widmer.