Das Wunder vom Botanischen Garten
Der grösste Schmetterling der Welt ist geschlüpft: Im Botanischen Garten breitet der Atlasspinner seine 30-Zentimeter-Flügel aus. Ein Abstecher ins Palmenhaus ist täglich möglich.
Er trinkt nicht, er isst nicht, bewegt sich kaum, fast scheint es, er hänge nur zu unserem Entzücken am Kirschlorbeerbaum im Botanischen Garten. Tatsächlich entlockt er dem Besucher des grossen Palmenhauses unwillkürlich ein «Oh», oder aber die Besucherin bleibt stumm, den Mund weit offen, die Augen gross: Der Atlasspinner (Attacus atlas) ist nicht ein Schmetterling wie wir ihn von Schwalbenschwanz & Co kennen: Seine Flügelspannweite kann 30 Zentimeter erreichen, seine rostbraun-roten und weiss-schwarzen Schuppen zeichnen ein faszinierendes Muster auf seine geschwungenen Flügel. «Nun ist bereits der zweite geschlüpft», sagt Markus Bürki, Gärtner im Botanischen Garten und deutet auf einen unwirklich grossen Sommervogel. Der Schmetterlingsexperte züchtet die Atlasspinner, die weltweit grössten Schmetterlinge aus Südostasien, bereits seit einigen Jahren – mit Erfolg: Jeden April und Juni zwängen sich die Riesenfalter aus ihren engen Kokons.

Reglos, in voller Pracht hängt ein Atlasspinner am Kirschlorbeerbaum. (Bilder:bj)
Ein Leben für die Fortpflanzung
So prächtig sein Aussehen, so kurz sein Leben: «Ein Atlasspinner lebt etwa zehn Tage», erklärt Bürki. Und zwar lediglich für die Fortpflanzung, Mundwerkzeuge zur Nahrungsaufnahme oder einen Rüssel zum Nektarsaugen hat der Schmetterling gar nicht entwickelt. «Das ist bei den sogenannten Augenspinnern üblich», erklärt der Schmetterlingsexperte. Das Weibchen legt in dieser Zeit eine Unmenge an Eiern, «sie kleben überall», sagt Bürki, und zupft ein 3-Millimeter-Ei von einem Blatt. Daraus schlüpft in eineinhalb Wochen eine kleine Raupe, die sich an Liguster und Kirschlorbeer fett frisst und sich anschliessend verpuppt. In einem Jahr bringt diese Schmetterlingsart zwei bis drei Generationen hervor – ein Zyklus, der gemäss Bürki von Temperatur und Tageslänge abhängt. Den Winter verbringt der Falter sicher im Kokon.

Der Beweis: Der Atlasspinner ist der grösste Schmetterling der Welt.
Schlangenkopf auf dem Flügel
Das Fasziniernde des Schmetterlings liegt aber nicht nur in seiner Grösse: Die Männchen des Atlasspinners haben riesige, gelbe, reich gefiederte Fühler. Dadurch wird die Oberfläche der Fühler x-fach vergrössert, und das Männchen kann kleinste Mengen an Lockstoffen, welche die Weibchen absondern, aufnehmen – damit wird die Partnersuche im kurzen Erwachsenen-Leben um Einiges einfacher. Und ein weiteres faszinierendes Merkmal zeigt Markus Bürki an der Spitze des Vorderflügels: Die Zeichnung sieht einem Schlangenkopf ähnlich. «Ein Trick gegen mögliche Frassfeinde: Entweder lassen sich etwa Vögel von einem Angriff abschrecken, oder sie picken erst auf das Kopfbild und nicht auf den Schmetterlingskörper.»
Täglich offen
Bürki vermutet rund noch ein Dutzend lebende Puppen in seiner Vitrine, die jederzeit schlüpfen können. Damit ist in den nächsten Tagen noch genügend Zeit, einen Abstecher ins oberste Palmenhaus im Botanischen Garten zu machen. Und sich von den schillernden Atlasspinnern – oder Vertretern anderer Schmetterlingsarten aus Asien oder Südamerika – bezaubern zu lassen.
Die Palmenhäuser sind täglich von 8 bis 17 Uhr geöffnet.