Bern war eigentlich schneller als Calvin
Grosse politische Veränderungen und religiöses Umdenken kennzeichneten die Reformationszeit. Die Stadt Bern war in vielerlei Hinsicht an der Genfer Reformation beteiligt, noch bevor Johannes Calvin auf der Bühne erschien. Eine Ringvorlesung der Theologen befasst sich mit dem Reformator aus dem Mittelalter.
Die Situation im 16. Jahrhundert spitzte sich zu: Kirche und Adel beuteten einen Grossteil der Bevölkerung aus. Doch langsam wurde der kirchliche Anspruch auf die absolute Wahrheit angezweifelt. Altgeglaubtes verlor an Gültigkeit und eine Neuorientierung schien unumgänglich: Die Reformation brach schliesslich die Macht der katholischen Kirche – die Gesellschaft und die Kirche richtete sich wieder an der Bibel aus. In der Ringvorlesung «Johannes Calvin 1509-2009. Würdigung aus Berner Perspektive» der Theologischen Fakultät der Uni Bern erläuterte Martin Sallmann vom Institut für Historische Theologie, die Rolle Berns bei der Genfer Reformation. «Die beiden Städte pflegten ein schwieriges Verhältnis», so Sallmann, «in Bern herrschten, im Gegensatz zu Genf, stabile politische und religiöse Verhältnisse.»

Der franzözische Reformator Johannes Calvin im Alter von 53 Jahren. (Bild: René Boyvin, 1525-1598)
Die Rolle Berns bei der Einführung der Reformation in Genf
«Die Einführung der Reformation in Genf hat eigentlich nichts mit Calvin, aber viel mit Bern zu tun», sagte Sallmann. Als der französische Reformator Johannes Calvin in Genf eintraf, hatte die Reformation bereits begonnen. Doch der Reihe nach: Als Savoyen Mitte des 15. Jahrhunderts seinen Herrschaftssitz ausweitete, und der savoyische Herzog politischen und kirchlichen Einfluss auf Genf ausübte, entstanden unterschiedliche Städte-Bündnisse. Genf, Bern und Freiburg traten 1526 in ein starkes Bündnis ein, durch welches sie sich der Macht Savoyen entziehen wollten. «Die Städte schlossen einen Treueeid, mit dem man sich zum Zusammenhalt gegen den gemeinsamen Feind verpflichtete», schilderte Sallmann, «und dieses Bündnis kann als ein strategischer Schachzug bezeichnet werden – in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht.» Dem Bischof war dieses Bündnis ein Dorn im Auge, denn seine Autorität galt seit der Reformation Berns 1528 nicht mehr. In kirchlichen Angelegenheiten lag die Regierungsgewalt nun bei der Regierung und die Pfarrer sollten das Evangelium unters Volk bringen. Kirchliche Angelegenheiten und politische Faktoren vermischten sich damals also auf komplexe Weise.
Als 1528 in Bern die Reformation eingeführt wurde, gewann die Bündnispolitik Einfluss auf die Ereignisse in Genf. Im Dezember 1535 ging Genf zur Reformation über. Ein Jahr später befreite Bern die Stadt von der Herrschaft Savoyens und sicherte so die Unabhängigkeit Genfs. Bern spielte also eine politisch und kirchlich zentrale Rolle. «Und bis dahin war Calvin noch gar nicht auf der Bühne erschienen», betonte Sallmann. Doch die Grundlage für den Reformator war gelegt, denn politisch und religiös blieb Genf labil und beeinflussbar.
Calvins Aufenthalt in Genf – Vorstösse der Reformation
«Eigentlich war Calvin nur auf der Durchreise in Genf, aber er wurde im Jahr 1536 von Guillaume Farel, dem Reformator der französischen Schweiz, eindringlich zum Bleiben überredet», erläuterte Sallmann. Johannes Calvin war ein französischer Rechtsgelehrter, der wegen seiner offenen Parteinahme für die Reformation 1533 aus Paris vertrieben wurde. In Basel veröffentlichte er 1536 die «Lehre von der christlichen Religion», die auch seine Prädestinationslehre enthielt. Bereits ein Jahr später reichte Calvin dem Genfer Rat einen Vorschlag zur Neuorganisation der Kirche ein. Darin wurde laut Sallmann Calvins Theologie-Ansatz deutlich: Die Gestaltung der Kirche ist ihm wichtig. In seiner strengen Kirchenordnung verlangt der Reformator erstens ein monatliches Abendmahl und das Praktizieren der «Kirchenzucht» – die Exkommunikation –, um die Integrität der Kirche zu bewahren. Zweitens sollen in den Gottesdiensten fortan Psalme gesungen werden. Drittens muss die Jugend in der Kirche ein Glaubensbekenntnis ablegen, und eine solide Regelung der Eheschliessung soll eingeführt werden.
Die Mehrheit der Genfer Bürger konnte Calvin aber nicht dazu bringen, seiner strengen Kirchenordnung zuzustimmen. 1538 wurden Calvin und Farel schliesslich aus Genf verwiesen, da sie der gesamten Gemeinde das Abendmahl verweigert hatten. Das war ein Protest darauf, dass der Genfer Rat einige Riten und Bräuche einführen wollte, um der verbündeten Stadt Bern zu gefallen. Bern versuchte zu vermitteln, was rein strategisch angelegt war, denn die Berner hatten Angst vor einer Einnahme Genfs durch Frankreich.
Calvins Rückkehr nach Genf
Nach seinem Rauswurf aus Genf hielt sich Calvin in Basel und Strassburg auf. «Er verfolgte aber weiterhin die Ereignisse in Genf», sagte Sallmann. «Als der Bischof die Genfer Gemeinde überreden wollte, wieder zum katholischen Glauben zurückzukehren, wusste der Genfer Rat keine Antwort darauf und bat Calvin dies zu tun», schilderte Sallmann. Beeindruckt von seinem Brief rief der Rat Calvin im Jahr 1541 nach Genf zurück. Gegen grossen Widerstand gelang es Johannes Calvin nach und nach, seine Vorstellungen von der Organisation der Kirche und seine strengen Sittenregeln durchzusetzen – und damit eine neue kirchliche Ordnung zu schaffen.
Die Reformation in der Schweiz
In der Schweiz begann die Reformation als religiöse Erneuerungsbewegung und endete schliesslich in einer tiefen politischen Spaltung zwischen den Städten des Mittellandes und der ländlichen Zentralschweiz. In den reformierten Teilen herrschte eine strenge öffentliche Moral, in den katholischen Gebieten bliebt das freudige Leben trotz moralistischer Bewegung der Gegenreformation präsenter.