Der Beklemmung davon surfen
Sie haben es besonders schwer: Angstpatienten brauchen Hilfe, wagen sich aber oftmals kaum aus dem Haus, um ebendiese zu suchen. Online-Programme können in solchen Fällen helfen. Ein Berner Angebot ist jetzt in der Testphase.
Computer einschalten und die Angst wegklicken: Online-Psychotherapie-Programme sollen es möglich machen, seine soziale Angststörung vom sicheren Wohnzimmer aus anzugehen. Der Berner Psychologe Thomas Berger ist sicher, dass solche Angebote Betroffenen «effektiv» helfen, das belegen internationale Studien – und auch seine eigene: Gemeinsam mit den Psychologen Franz Caspar und Eléonore Hohl, ebenfalls von der Uni Bern, hat Berger ein webbasiertes Programm für Sozialphobikerinnen und -phobiker entwickelt und getestet: Nach zehn Wochen wiesen die Nutzerinnen und Nutzer im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant weniger Angst- und Depressionssymptome auf. «Die Effekte sind mit der Wirksamkeit einer ‹Face-to-Face›-Therapie vergleichbar», so Berger, also der Behandlung, bei der sich Patient und Therapeutin in einer Praxis gegenüber sitzen. Das Berner Programm wurde weiterentwickelt und wird im Sommer evaluiert.

Multimedia und Übungen
Die Therapie am Bildschirm ist wie folgt aufgebaut: Die Internetplattform besteht aus Selbsthilfemodulen, welche Informationen über soziale Ängste beinhalten. Das Programm enthält interaktive Multimedia-Elemente, wie Thomas Berger erklärt. «Zum Beispiel werden soziale Situationen in Filmen präsentiert, und die Teilnehmer werden angeleitet, sich mit ihrer Angst auseinanderzusetzen und sie zu beeinflussen», so der Berner Psychologe. «Am wichtigsten», so Berger, «sind aber die Anleitungen, soziale Situationen auch in der Realität aufzusuchen.» Diese so genannten In-Vivo-Expositionen seien entscheidend, da sich bei einer Therapie zu Hause vor dem Computer bei Sozialphobikern das Vermeiden sozialer Situationen noch verstärken könnte.
Wie eine Brieffreundin
Begleitet wird die Online-Psychotherapie von einem Mailaustausch zwischen Therapeut und Klient. «Der Therapeut schreibt wöchentlich ein motivierendes Feedback und beantwortet allfällige Fragen», erklärt Berger seinen Ansatz. Ebenfalls einmal wöchentlich werden mittels Fragebogen die Fortschritte erfasst und sowohl Therapeut wie Teilnehmerin zurückgemeldet. Dieser wenn auch anonyme Mailkontakt zwischen Psychologin und Klient scheint wesentlich zum Gelingen der Therapie beizutragen: «Deutlich weniger Teilnehmende brechen ihr Programm ab als bei reinen Selbsthilfeprogrammen», sagt Thomas Berger. Auch die Effekte seien «substantiell höher». Berger will den Mailaustausch denn nicht unterschätzt sehen: «Eine tragfähige Beziehung kann auch über das Internet aufgebaut werden. Denken Sie einfach, welche Bedeutung eine gute Brieffreundin für Sie hat.»
Gefahren abschätzen und verringern
Doch nicht jeder Teilnehmende kann vom Web-Programm profitieren: Rund ein Drittel wies nach der Intervention immer noch sozialphobische Symptome aus, bedauert Berger, relativiert allerdings gleich: «Dieser Prozentsatz findet sich auch bei der ‹Face-to-Face›-Therapie in der Praxis.» Man versuche die Programme ständig zu optimieren – und gleichzeitig Gefahren zu minimieren, die ein internetbasiertes Angebot bergen kann, wie Berger unumwunden zugibt. Angemessene Reaktionen auf Krisen seien nur in einem beschränkten Masse möglich: «Ein Therapeut liest vielleicht seine E-Mails erst zwei Tage, nachdem ein Klient einen möglichen Suizidversuch angedeutet hat», so Berger. Vorbeugungsmassnahmen seien deshalb unumgänglich. Die Berner Psychologen klären in ihrem Ansatz deshalb die Suizidalität der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmern genau ab und erarbeiten einen individuellen Notfallplan. «Damit die Betroffenen in einer Krise auf jeden Fall Hilfe erhalten – und zwar rund um die Uhr», so Berger.
Eine Ergänzung zur Couch
Trotz der guten Erfolge strebt der Forscher nicht den Ersatz der «Face-to-Face»-Therapie an. Vielmehr sieht Berger die Online-Therapie als Ergänzung zu den bestehenden Therapieformen: «Das webbasierte Programm kann Menschen ansprechen, deren Mobilität eingeschränkt ist, deren Hemmschwelle zu hoch ist, einen Therapeuten aufzusuchen. Oder sie kann als Einstieg in eine darauffolgende intensivere Therapie auf der Couch eines Therapeuten sein.»